3 Die Rinucci Brüder: Unter der goldenen Sonne Roms
machen Sie denn hier?“, fragte sie verblüfft.
„Ich wohne hier“, erwiderte er. „Seit heute. Aber die Wohnung befindet sich in einem erbärmlichen Zustand. Gleich morgen früh werde ich mich bei dem Vermieter beschweren.“
Auf der Mieterversammlung, die wie immer in Nettas Wohnung stattfand, herrschte eine
außergewöhnlich gespannte Atmosphäre.
Während Netta Kaffee und Kuchen servierte, wurde sie von allen Seiten mit Fragen bestürmt, denn die Leute nahmen an, sie sei bestens informiert. Als sie nur wenig zu berichten wusste, waren sie enttäuscht.
„Ich habe Minnie seit ihrer Rückkehr kaum gesehen. Sie ist sehr früh ins Büro gefahren und noch nicht wieder nach Hause gekommen. Bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.“ „Sie muss mit ihm geredet haben“, meinten die Leute. „Vergiss nicht, was er heute gemacht hat. Das haben wir ihr zu verdanken, davon sind wir überzeugt.“
Netta schwieg. Sie wollte ihre Vermutung, dass Minnie wirklich nichts über Signor Caymans interessante Aktivitäten wusste, lieber für sich behalten.
Schließlich kam Minnie mit mehreren Ordnern unter dem Arm herein. Nachdem sie die Leute begrüßt hatte, erklärte sie: „Heute Abend gibt es viel zu besprechen. Es hat sich einiges geändert, aber das kann für uns durchaus …“ Sie verstummte, denn in dem Moment erschien zu ihrem Entsetzen Luke Cayman.
„Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe“, entschuldigte er sich.
„Was wollen Sie denn hier?“, fragte sie gereizt und bereute es sogleich.
Luke setzte eine erschrockene Miene auf. „Ich dachte, hier fände die Mieterversammlung statt. Habe ich mich im Datum geirrt?“
Man versicherte ihm, dass er sich nicht geirrt habe. Er wurde herzlich willkommen geheißen, und die Leute standen auf, um ihm die Hand zu schütteln. Zunächst zögerte er, doch dann ließ er sich von dem begeisterten Empfang anstecken und begrüßte jeden Einzelnen freundlich und charmant. Er ist ein guter Schauspieler, dachte Minnie empört. „Ich bin der Meinung, Sie sollten an der Mieterversammlung nicht teilnehmen“, sagte sie und sah ihn ärgerlich an.
„Ich bin doch auch ein Mieter“, wandte er gespielt beleidigt ein. „Habe ich nicht dieselben Rechte wie alle anderen?“
Minnie atmete tief ein. „Sie sind der Vermieter und wohnen in einem Ihrer eigenen Apartments …“ „Stimmt. Das erleichtert die Sache für Sie, denn dann kann ich die Beschwerden gleich hier und jetzt entgegennehmen“, antwortete er mit einem gewinnenden Lächeln.
„Signor Cayman, wenn Sie die Mängelliste studiert hätten, die ich Ihnen zugeschickt habe, wüssten Sie bestens Bescheid.“
„Aber Sie haben mir in meiner Funktion als Vermieter geschrieben. Heute Abend bin ich jedoch auch als Bewohner eines der Apartments hier und möchte einige Vorschläge unterbreiten, wie man mit so einem schlechten Vermieter umgehen sollte. Ich kenne seine Schwächen allzu gut, und das kann nur von Vorteil sein.“
Die betont unschuldig vorgetragene Bemerkung löste natürlich allgemeine Heiterkeit aus. Er versteht es glänzend, die Leute für sich zu gewinnen, gestand Minnie sich widerwillig ein. Obwohl sie die Anwältin dieser Leute war und ihnen zu ihrem Recht verhelfen wollte, hatten sie offenbar die Seiten gewechselt. Sie wurde nicht mehr gebraucht und fühlte sich ausgegrenzt.
Ihr war klar, was er vorhatte. Er spielte den verständnisvollen Vermieter, ohne wirklich dazu bereit zu sein, die notwendigen Reparaturen erledigen zu lassen. Damit würde er bei ihr nicht durchkommen. „Sie haben recht“, stimmte sie ihm betont freundlich zu. Ihr kühles Lächeln verriet ihm jedoch, dass sie entschlossen war, sich ihm gegenüber durchzusetzen. „Aber nur ich bin umfassend informiert, welche Arbeiten am und im Haus erforderlich sind. Deshalb schlage ich vor, wir besichtigen jetzt als Erstes eine Wohnung nach der anderen.“
„Signor Cayman hat schon einige Apartments in Augenschein genommen“, meldete sich Enrico Talli zu Wort. „Heute Morgen war er in meiner Wohnung, am Nachmittag in Guiseppes. Er hat sich alles sehr genau angeschaut und versprochen, die Reparaturen sogleich zu veranlassen.“
Sekundenlang zögerte Minnie. „Das ist ja sehr erfreulich“, erwiderte sie dann und hoffte, man würde ihr nicht anmerken, wie sehr die Neuigkeit sie irritierte.
„Was ist mit mir?“, fragte eine ältere Frau, die offenbar empört darüber war, dass Enrico bevorzugt behandelt
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