3 Die Rinucci Brüder: Unter der goldenen Sonne Roms
ziemlich schwer, über ihn zu reden.“
„Nach vier Jahren?“
„Ja. Setzen Sie sich, dann können wir frühstücken.“
Freundlich lächelnd, aber sehr bestimmt hatte sie ihn in seine Grenzen verwiesen, und das musste er akzeptieren.
Der Kaffee war heiß, sehr stark und schmeckte ihm genauso gut wie alles andere, was sie ihm vorsetzte.
„Ich habe schon früher Leute auf oder nach einer Party zusammenbrechen gesehen“, erzählte sie und setzte sich ihm gegenüber. „Aber darunter war nie jemand, der nur Orangensaft getrunken hatte.“
„Ja, reiten Sie ruhig darauf herum. Früher hätte ich alle unter den Tisch getrunken. Doch die Zeiten sind vorbei.“
„Ich bezweifle, dass sie mit Charlie hätten mithalten können“, entgegnete sie.
„Warum haben seine Eltern ihm den Namen Charlie gegeben? Sie hätten ihn auch Carlo nennen können.“
„Das hat etwas mit Karl dem Großen, auf Französisch Charlemagne, zu tun. Dessen Vater war ‚Pepino il Breve‘, und man nimmt an, dass die Familie Pepino von ihm abstammt.“
„Zwölfhundert Jahre lässt sich das doch nicht zurückverfolgen.“
„Na und?“ Sie zuckte die Schultern.
„Glauben Sie die Geschichte?“
„Natürlich.“
„Ich bin überzeugt, sie stimmt nicht. Sie ist auch nicht logisch.“
„Das ist doch egal. Hauptsache, die Leute sind glücklich.“
„Sollten Sie als Rechtsanwältin nicht an der Wahrheit interessiert sein?“, fragte er.
„So würde ich das nicht ausdrücken. Wenn es um meine Mandanten geht, zählen für mich natürlich nur Fakten, sonst nichts. Im Privatleben gefällt es mir jedoch, der Fantasie freien Lauf zu lassen.“ „Sie sind eine sehr außergewöhnliche Rechtsanwältin. Obwohl Sie Ihr Büro an der Via Veneto haben, wo die Mieten sehr viel höher sind als in anderen Stadtteilen, wohnen Sie hier eher bescheiden. Vielleicht sollte ich die Miete erhöhen.“
Alarmiert hob sie den Kopf. „Würden Sie das wagen?“
„Beruhigen Sie sich, es war ein Scherz. Ich wollte Sie nur in Ihrer Meinung bestärken, ich sei ein zweiter Scrooge. Ach so, Sie sind ja keine Engländerin und wissen wahrscheinlich gar nicht, wer das war. Scrooge war …“
„Sie brauchen es mir nicht zu erklären, ich bin halb Engländerin, halb Italienerin“, unterbrach sie ihn. „Wirklich?“
„Mein Vater war Italiener, meine Mutter Engländerin. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Als ich acht war, ist mein Vater gestorben, und meine Mutter ist mit mir nach England zurückgegangen.“ Luke blickte sie entgeistert an. „Das ist unglaublich.“
„Wieso?“
„Weil es mir sehr ähnlich ergangen ist. Meine Eltern waren Engländer, doch nach ihrem Tod bin ich adoptiert worden. Nach einigen Jahren haben sich meine Adoptiveltern scheiden lassen, und ich habe bei meiner Adoptivmutter gelebt, die Toni Rinucci, einen Italiener aus Neapel, geheiratet hat. Seitdem lebe ich dort.“
„Ah ja, das erklärt Ihren englischen Familiennamen.“
„Genau. Die Rinuccis sind eine englisch-italienische Familie. Mein Adoptivbruder Primo hat eine italienische Mutter. Mich hat er immer den Engländer genannt.“
„Wenn Gianni mich necken wollte, hat er auch immer gesagt: ‚Als halbe Engländerin verstehst du das natürlich nicht.‘ Darüber habe ich mich sehr geärgert.“
„Werden Sie nicht gern daran erinnert, englische Vorfahren zu haben?“
Minnie schüttelte den Kopf. „Ich habe mich schon als Kind für eine Italienerin gehalten und bin hierher zurückgekommen, sobald ich die Gelegenheit dazu hatte. Sogleich hatte ich das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Wenig später habe ich Gianni kennengelernt, und wir haben geheiratet. Nach zehn Jahren ist er gestorben.“
Unvermittelt stand sie auf, um noch mehr Kaffee zu machen. Luke sah hinter ihr her und überlegte, weshalb sie auf einmal so bedrückt war. Als sie zurückkam, wirkte sie zu seiner Überraschung wieder so unbekümmert wie zuvor.
„Jetzt wissen Sie, warum ich in diesem Haus wohne. Ich liebe die ganze Familie. Netta ist so etwas wie eine Mutter für mich, und Giannis Brüder sind auch meine Brüder geworden. Niemals werde ich hier ausziehen.“
„Haben Sie denn nicht den Wunsch weiterzugehen? Bildlich gesprochen, meine ich.“
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. „Nein“, erwiderte sie schließlich. „Mit Gianni war ich sehr glücklich. Er war ein wunderbarer Mensch. Wir haben uns sehr geliebt. Weshalb sollte ich
weitergehen wollen? Was könnte ich nach einer so
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