3. Reich Lebensborn E.V.rtf
dann hart, »wenn du einen Funken Vernunft hast ... laß das ... denk an Lotte!«
»Was ist mit Lotte?«
In diesem Moment betritt die Lagerführerin die Stube. Sie geht mit süßlichem Lächeln auf Doris und Erika zu, reicht ihnen die knöcherne, trockene Hand.
»Na, wie war’s?«
»Wunderschön«, erwidert Erika ironisch.
»Was ist mit Lotte? ... Da gehen Gerüchte um ... dummes Geschwätz ... könnt ihr die Sache nicht klarstellen, heute abend beim Appell?«
Sie betrachtet Doris. Das Mädchen atmet tief ein und aus. Dann sagt es knapp:
»Wenn Sie wollen.«
»Nun?« lächelt die Führerin aufmunternd.
Doris spricht so laut und deutlich, als wolle sie die Wahrheit in Stein meißeln:
»Lotte hat Selbstmord verübt, weil sie es nicht ertragen konnte, mißbraucht zu werden ... mißbraucht auf Befehl des Führers!«
»Bist du verrückt?« schreit die Lagerführerin. Es ist still, totenstill. Das Gesicht der Führerin verwelkt in Sekunden. Die Behauptung von Doris ist für sie so ungeheuerlich, daß sie keinen Maßstab findet, nach dem sie 151
strafen, verurteilen, toben oder drohen kann.
»Das ist ja unerhört!« schrillt sie endlich. Ihr kraftloser Schrei hallt nach, während sie mit wehender Bluse über den Gang flüchtet.
Doris steht mitten in der Stube und zittert. Da legt Erika den Arm um ihre Schultern.
»Alle Achtung«, sagt sie leise.
Nach Beendigung des ersten Lehrgangs reiste
Sturmbannführer Westroff-Meyer nach Polen. Im Rahmen einer Aufgabe, bei der seine bisherige Tätigkeit vergleichsweise noch harmlos war. Auf Rechnung der Volksdeutschen Mittelstelle. Für die Ziele des Lebensborns. Um eine Treibjagd ohne Beispiel zu veranstalten. Auf Kinder
...
Er saß im Wagen. Sein Körper wackelte im Rhythmus der Straße. Der Sekt von gestern abend stieß auf. In Krakau hatte man im höchsten Kreis die Rede des Reichsführers der SS
gefeiert. Sie war ein einziger grausiger Blutgesang.
»... Wir müssen das fremde Kind guten Blutes mit allen Mitteln eindeutschen, und wenn wir es rauben müßten .... Wir müssen die gute Erbmasse des Feindes absorbieren oder vernichten ...«
Himmler hatte den Weg gewiesen. Und sein
Sturmbannführer war bereit, darüber hinaus ihm jeden Wunsch von der randlosen Brille abzulesen. So reiste er in Sachen Leben und besorgte für den Tod die Geschäfte. Freie Bahn! Er würde Polen auskämmen!
Der Sturmbannführer träumte. Er sah eine Armee von Kinderfängern unter seinem Kommando durch Polen ziehen. Er sah den Nationalsozialismus als Bassin, in dem das nordische Blut der Welt zusammenfloß, und er, gütiger Stiefvater aller blondschopfigen Kinder, die Kanalisation leitete.
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Zunächst meldete sich Westroff-Meyer bei dem
Kommandeur, einer SS-Einsatzgruppe in der Nähe von Lodz. Der blasse Standartenführer hörte ihm unbeteiligt zu.
»Hm«, sagte er dann, »Pollacken wollt ihr aufziehen?«
»Nur reinrassige«, beteuerte Westroff-Meyer.
»Für den Lebensborn? Was ist denn das?«
»Nichts gehört? ... Sie sollten längst Mitglied sein, Standartenführer.«
»Von mir aus«, grinste der Einsatzgruppenleiter. Und so wurde der Mörder Mitglied des Lebensborns und der Funktionär des Lebensborns zum Mörder.
»Mit dem was wir umlegen, kannst du nicht viel anfangen, Kamerad«, erläuterte der Standartenführer, »Juden, Zigeuner und ähnliches ... da müssen wir schon andere Wege finden.«
»Brauchen wir nicht Vollmachten?«
»Mensch, Vollmachten!« schnaubte der Mann, der täglich tausend Menschen morden ließ, verächtlich.
Am Abend ereignete sich die erste Panne. Westroff-Meyer drang mit seinen Schergen in eine Wohnung ein, die ihm ein polnischer Spitzel verraten hatte. Eine blonde, junge Frau stand in der Türe. Sie war allein.
»Der Mann?« fragte der Sturmbannführer lauernd.
»Gefallen«, versetzte die Frau ruhig.
Er war Offizier gewesen. Die Augen der Frau glänzten traurig. Gutes Material, dachte Westroff-Meyer. Rasse, Intelligenz, Stolz ...
»Wollen Sie nicht Ihr Kind in ein deutsches Heim bringen, wo es mustergültig erzogen wird?«
Die Frau betrachtete ihn entsetzt.
»Mein Kind ist das einzige, was mir übrigblieb«, entgegnete sie im harten, gebrochenen Deutsch, »ich gebe es niemals her.«
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»Ich kann das verfügen«, erwiderte der Sturmbannführer barsch.
»Nein!« versetzte die Frau zum zweitenmal. Sie sah ihn fest an.
»Machen Sie keine Schwierigkeiten.«
»Bitte gehen Sie ...«
»Geben Sie das Kind heraus«, schrie Westroff-Meyer.
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