3. Reich Lebensborn E.V.rtf
überwältigen.
Man schleppt die Mutter, der einer das Kind genommen hat, auf eine Bahre im Stationszimmer. Ihr Gesicht ist wächsern. Die Oberin telefoniert ohne Pause. Drei Schwestern bewachen die unendlich müde, zerschlagene Mutter. Eine davon murmelt monoton vor sich hin:
»Ihrem Kind geht es gut ... gut ... geht es gut ... ist alles in Ordnung ...«
Endlich kommt der Assistenzarzt. Die Spritze glitzert in seiner Hand. Ein Beruhigungsmittel. Es gerinnt in den Adern 228
von Doris zu eisiger, gefährlicher Ruhe.
Und dann verwandelt sich das Rauschen wieder in ein Flimmern. Es wird licht. Der Film ist wieder da. Der abgerissene Streifen.
»Ich ... ich möchte Dr. Jessrich sprechen«, sagt Doris.
»Nicht mehr bei uns«, antwortet der Assistent selbstbewußt,
»vorläufig bin ich sein Nachfolger ...« Er kennt den Preis, den er dafür bezahlte.
Doris hebt müde die Hand gegen die Stirn. Dann richtet sie sich langsam auf, unheimlich still, entsetzlich beherrscht.
»Ich verstehe«, sagt sie gläsern. Dann steht sie auf.
»Aber legen Sie sich doch hin, Frau Steinbach!«
»Ich gehe«, antwortet Doris schleppend, »rühren Sie mich nicht an ... ich ... ich hole die Polizei!«
Das Wort löst magische Verblüffung aus. An diese Möglichkeit denkt kein Mensch mehr in dieser Zeit. Doris taumelt. Es ist ihr gleichgültig. Ihr Körper brennt wie Feuer. Hinter ihr tobt der Assistenzarzt:
»Wo wollen Sie hin?« brüllt er in aufkommender Panik. Dann wird seine Stimme dünner und dünner.
Doris schlägt das eiserne Gitter zu. Zuletzt hört es sich an wie ein Keuchen:
»Ich befehle Ihnen!«
Doris hat Glück. Sie kommt bis zur Post. Sie füllt das Telegramm an Klaus aus.
Inzwischen suchen die Schwestern überall. Aber sie finden Doris nicht. Und während sie suchen, betritt die junge Frau des deutschen Oberleutnants Klaus Steinbach das Polizeigebäude des Städtchens ...
Klaus blieb nicht lange in Oberbayern. Schon nach ein paar Tagen nahm ihn bei der morgendlichen Visite der 229
Oberstabsarzt auf die Seite. Er löste den Verband und betrachtete aufmerksam die Wunde. Er schüttelte den Kopf und sagte:
»Sie sind wohl die neue deutsche Geheimwaffe?«
»Wieso?«
»Ihre Einheit hat Sie angefordert ...«
Klaus fragte wortlos.
»Ich weiß, daß Ihr Arm noch nicht ausgeheilt ist ... noch lange nicht ... aber Sie sollen da ... irgendwo im Innendienst ...«
»Im Innendienst?«
»Es ist alles sehr geheimnisvoll«, erwiderte der Oberstabsarzt. Er machte eine fahrige Bewegung mit den Schultern. »Ich tue das nicht gern«, setzte er hinzu, »und außerdem wollen Sie ja sicher auch Ihren Genesungsurlaub haben ...«
»Ja, Herr Oberstabsarzt.«
»Gegen Ihren Willen schicke ich Sie nicht zurück ...«
»Der Kommodore selbst hat mich ...?«
Der Oberstabsarzt nickte.
Klaus zögerte nicht. Irgend etwas Besonderes, dachte er ... oder man braucht mich ... Er war sogar ein wenig stolz darauf; er war immer noch Offizier ...
Zwei Sanitätssoldaten vom Stammpersonal halfen ihm beim Packen. Der Marschbefehl war schon ausgeschrieben. Jetzt erschrak er doch, daß es so pressierte. Man hatte etwas mit ihm vor.
Das weiträumige Haus lag schon hinter Klaus, als ihm ein Unteroffizier nachrief:
»Einen Moment, Herr Oberleutnant ... das ist gerade gekommen für Sie!«
Er übergab ihm ein Telegramm in der Hülle.
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Klaus riß den Umschlag auf. Die Buchstaben kreisten vor seinen Augen, als er las:
»Westroff-Meyer ließ unser Kind entführen. Ich erstattete gegen ihn Anzeige bei der Kriminalpolizei. Doris.«
Als Doris das Dienstzimmer des Kriminalkommissars betritt, sieht er im ersten Moment unwillig von seiner Zeitung auf. Dann lächelt er, stellt sich vor und schiebt der jungen Frau einen Stuhl hin.
»Ich bin Frau Steinbach«, beginnt Doris, »und ich möchte Anzeige erstatten.«
»Gegen wen?«
»Gegen SS-Obersturmbannführer Westroff-Meyer«, sagt Doris, während sie dem Beamten fest in die erschrockenen Augen sieht.
»Weswegen?«
»Kindesentführung.«
Der Beamte zündet sich zerstreut eine Zigarette an.
»Das müssen Sie mir schon näher erklären«, murmelt er. Doris spricht. Mit trockenen Lippen. Mit schwerer Zunge. Aber klar. Sie starrt auf einen Fleck am Boden. Der Beamte nestelt an seinem Schlips, unterbricht sie:
»... In dem Lebensborn-Heim, sagen Sie?« fragt er, peinlich berührt.
Doris nickt.
»Sie waren in diesem Heim?« fragt er ungelenk weiter.
»Ja«, antwortet Doris.
»Ist denn das eine
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