3. Reich Lebensborn E.V.rtf
gelingt. Der Automat funktioniert. Irgendwo, ein paar hundert Meter vor dem krachenden Ende, richtet sich die Maschine wieder auf, die von der Bombenexplosion wie ein welkes Blatt verweht wurde.
Der Funker sammelt seine Apparate ein. Die Nacht zischt und rattert, sendet Notschreie und Befehle. Der Tod ist allgegenwärtig. Und nur die Führer haben einen sicheren Bunker.
Hauptmann Steinbach ist auf neuem Kurs. Berlin darf er nicht überfliegen. Sperrzone für die Flak. Der Todesreigen tanzt nach Norden.
»Neustrelitz«, meldet der Funker.
Der Name rollt Klaus wie ein Stein über den Magen. Neustrelitz, denkt er, das Heim, das Kind, das richtige, nur ein paar Kilometer ...
Über die Skala des Funkmeßgeräts schwimmt ein schwacher Schatten.
»Wir haben einen!« brüllt der Oberfeldwebel. Der Umriß
wird fest. Der Nachtjäger holt die Feindmaschine langsam ein. Klaus starrt auf das Radarbild. Seine nassen Hände tasten nach dem Kanonenknopf.
»Wir haben Glück!« lacht der Funker, »das ist ein Lahmer!
Der hinkt hinter dem Pulk her!«
Das Kind, denkt Klaus, da unten, irgendwo. Und er stellt sich vor, wie die viermotorige Maschine auf das Heim stürzt. Unsinn, weist er sich zurecht.
Der Schatten wird ein dunkler Knoten. Der Oberfeldwebel rutscht weit nach vorne, sichert in die Nacht hinaus. Die Hände von Klaus zucken fahrig über das Höhensteuer. Nein, denkt er, nein! Gegen die plötzliche, panische Angst gibt es kein Argument der Vernunft.
Klaus läßt die milchige Scheibe verschwimmen. Oder ist er 269
schon so nahe, daß der Punkt sich wieder auflöst? Der junge Offizier kann nichts mehr unterscheiden; nicht den Mut von der Feigheit, nicht die Angst von der Vernunft. »Da ist er!«
schreit der Oberfeldwebel.
Klaus sitzt wie gelähmt. Ein Bergsteiger, den der Schwindel kurz vor dem Gipfel überwältigt. Mein Kind, denkt er. Seine Hände werden klamm.
»Schießen, Herr Hauptmann!« schreit der Funker. »Sie müssen schießen!«
Der Schweiß rinnt Klaus in den Kragen. Wenn die Maschine bloß im Garten detoniert, überlegt er fahrig. »Schießen!«
Die Auspuffflammen des lahmen englischen Bombers tanzen in der Luft wie Irrlichter über dem Moor. Vorbei. Schwimmen zur Seite. Werden von der Nacht verschluckt.
Klaus dreht mit einer sanften Steilkurve ab. So leicht, als streichle er seinem Sohn über den Kopf.
»Warum denn das?« fragt der Oberfeldwebel mit offenem Mund.
Eine halbe Stunde später landet die Maschine auf dem EHafen. Klaus geht mit gesenktem Kopf an seiner Besatzung vorbei. Die Männer sehen ihm nach.
»Hasardeur«, murmelt der Funker, der an den ersten Luftkampf denkt.
»Feigling!« zischt der Portepeeträger, der den lahmen, britischen Vogel vor Augen hat.
»Scheiße!« sagt der Mechaniker, während er mit den Fingern die Löcher an der Bordwand abtastet, die Flak und Bombensplitter gerissen haben.
Auf der langgestreckten Balkonterrasse stehen die Betten. Durch ihre Stäbe sehen sie aus wie kleine Käfige. In jedem Käfig liegt ein Kind. Eigentum des Reiches, geplant von der Wiege bis zum Massengrab. Das Heim liegt im südlichen 270
Mecklenburg. Es ist tadellos geführt. Funktionäre á la Westroff-Meyer haben festgelegt, wie viele Vitamine die Kleinen erhalten und ab wann ihnen die Kernsprüche des Systems einzuhämmern sind. Der Grießbrei ist mit Ovomaltine gewürzt, und selbst die Zimmer der Kleinkinder sind schon mit Spruchbändern geschmückt.
›Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder !‹
Der Säugling nimmt diese Forderung nachdenklich am Daumen lutschend in sich auf.
›Flink wie Windhunde‹, heißt es auf der anderen Seite, als ob die Einjährigen unter dieser Parole laufen lernen sollten. Säuglingsschwestern stehen zur Verfügung. Die Ammen sind erste Wahl. Das Heim selbst wirkt großzügig und blitzsauber. Alles ist vorhanden.
Nur die Liebe fehlt ...
Der Staat ist der eiskalte Vater der Kinder und die Bewegung ihre Rabenmutter. An ihrem Laufstall sollen die Kinder entlanggehen von den Windeln bis zur SS-Uniform. Noch merken sie nicht, was ihnen fehlt. Auch nicht der unter anderem Nachnamen registrierte kleine Klaus Steinbach, von dem seine Mutter nichts weiß.
Für heute ist eine Besichtigung angesagt: Besucher, die vielleicht ein Kind adoptieren werden, begleitet von einer Sekretärin aus der Berliner Zentrale. Es ist Erika. Sie hat sich den Auftrag über SS-Obersturmbannführer Westroff-Meyer verschafft, weil sie einem Vater Gelegenheit geben will, sein Kind zu
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