3. Reich Lebensborn E.V.rtf
sehen, das er nicht kennen darf.
Klaus Steinbach sitzt wie benommen im Wagen. Seit die Erika resolut bei ihm war und fragte: »Wollen Sie Ihr Kind sehen?« konnte er keinen anderen Gedanken mehr fassen.
»Klaus ...«, sagt das Mädchen, »vielleicht ist es ganz falsch, was ich mache ... nehmen Sie sich zusammen ... Westroff271 Meyer darf es niemals erfahren, daß ich Sie mitgenommen habe.«
Der Hauptmann nickt. Der Wagen hat sein Ziel erreicht. Der Fahrer bremst auf dem Kiesplatz. Die Heimleiterin, die schon am Eingang lauerte, kommt eilig näher. Sie grüßt mit ausgestrecktem Arm. Ihre Haartracht ist so germanisch wie die silberne Runen-Brosche auf der flachen Brust. Sie betreten die Halle des Kinderheims, folgen der Vorsteherin durch die Kinderzimmer, über die Terrassen, durch die Küche, in den ersten Stock, in den zweiten. Sie weist das Spielzeug vor, die sauber geordneten Waschlappen in den Waschräumen, die Spinde, die leeren Betten, an denen Zettel hängen:
›Siegfried ... Kunigunde ... Freya ... Hadubrand ... Etzel ... Dietbert ... Sieglinde ...‹
Die Namen kommen aus dem braunen Taufbecken. Dann geht es in die Schlafzimmer der Jüngsten. Klaus muß sich mit Gewalt zusammennehmen. Die Erregung schnürt ihm den Atem ab. Erika sieht seine Verwirrung und drückt schnell seinen Arm. Er nickt ihr zu. Seine Miene lächelt, ohne daß er es merkt.
Eine Tür wird aufgestoßen. Im nächsten Moment steht Hauptmann Steinbach vor seinem Kind. Zwei kleine Fäuste klammern sich um ein weißes Laken. Er sieht die blonden Strähnen. Der Schöpf ist noch viel dichter geworden. Klaus fragt nicht, zögert nicht. Er blickt in das kleine Gesicht, und er weiß, daß das sein Junge ist. Vielleicht erkennt er ihn unter dem geheimnisvollen Signalement des Blutes.
Er bewegt wortlos die Lippen. Seine Augen gleiten ab. Erika fängt diesen furchtbaren Blick auf, den sie nie vergessen wird. Es sind die hilflosen, erbarmungswürdigen Augen eines Menschen, der seine Peiniger um Hilfe bittet. Das junge Mädchen begreift, was in diesen Sekunden 272
geschieht. Sie möchte die Hände des Offiziers nehmen, ihm zusprechen. Sie kann es nicht. Die Vorsteherin darf nicht argwöhnisch werden. Auf einmal quält sich Erika selbst mit Vorwürfen. Sie hätte voraussehen müssen, welche Tortur sie Klaus zumutet.
Die Heimleiterin tritt an das Bett.
»Na, Klaus ...«, sagt sie, deren Kinderliebe durch ein amtliches Diplom bescheinigt ist, »zeig doch mal, wie hübsch du bist.«
Sie zieht das Kind in die Höhe, nimmt es auf den Arm.
»Wir können schon sitzen«, beteuert die Vorsteherin, »und bald können wir auch stehen.«
»Klaus heißt er?« fragt der Hauptmann mit einer Stimme, die er noch niemals hörte. Dann geht er langsam auf sein Kind zu.
»Ein ganz besonders schöner Klaus«, albert die Heimleiterin. Das Gesicht des Offiziers wird kantig. Er muß die Hand, durch die ein Strom zuckt, ins Koppel hängen. Er muß die andere Faust ballen.
»Bitte ...«, sagt Erika ganz leise.
Klaus sieht in ihre klaren Augen, schüttelt langsam den Kopf, wie um einen Druck loszuwerden.
Und dann sieht er seinen Sohn lächeln. Die Arme des Kindes tasten mit seltsamen Griffen nach vorne. Der Hauptmann schwankt leicht. Er muß die Zehen in den Stiefeln zusammenkrampfen.
»Ja, sag doch dem Onkel guten Tag«, girrt die Vorsteherin. Erika tritt einen Schritt zurück. Sie kann das Schauspiel nicht mehr aushalten.
Das Kind tastet lächelnd nach seinem Vater.
»Das ist wohl der Orden, den er sieht«, erklärt die Heimleiterin, »das Ritterkreuz ...«
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»So ...?« fragt Klaus gedehnt.
In diesem Moment steht er mit hängenden Armen vor seinem Kind, möchte es an sich reißen, pressen, drücken, möchte ...
Ganz langsam greift er sich an den Hals, stülpt den Kragen hoch, knöpft den Verschluß des Ordensbandes auf. Dann hält er das glitzernde Kreuz in der Hand, streckt es dem Kinde entgegen. Der Kleine strahlt über das pausbäckige Gesicht, patscht aufgeregt nach dem blitzenden Metall.
»Wenn es ihm gefällt ...«, sagt Klaus mit ruhiger Stimme,
»dann kann er es haben ...«
Das Kind hat das Band ergriffen. Klaus läßt es los. Die Vorsteherin betrachtet entgeistert die Szene.
»Aber, Herr Hauptmann«, stammelt sie, »Sie können doch nicht ... der Orden ... vom Führer ...« Auf ihren dünnen Backen stehen helle, rote Flecken.
»Warum nicht?« fragt Klaus hart. Auf einmal empfindet er eine unendliche Genugtuung, »ich kann mir ein neues
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