3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Fliegeralarm werde ich verrückt vor Angst.«
»Aber Doris«, erwidert Klaus, »wir fliegen ja noch gar keine Einsätze ... ich schule doch erst noch auf der neuen Maschine.«
»Wie lange noch?«
»Doris«, sagt er dann, »du weißt, daß du wegmußt ... nach Oberbayern oder Tirol ... sonst müßte ich dich mit Gewalt wegschaffen lassen ...« Seine Drohung klingt gequält. Doris zieht ihn mit sich. Ins Kinderzimmer. Der Augenblick, den Klaus hundertmal in Gedanken erlebte, ist da. Er steht vor der Wiege wie ein Fremder. Er will es verbergen und wird nur noch linkischer.
»Sieh mal«, lächelt Doris glücklich, »jetzt greift er schon ganz richtig.«
Die kleinen Arme fuchteln in der Luft. Die winzigen Hände 263
krallen sich in eine Zelluloidrassel.
»Ja«, antwortet Klaus mechanisch. Er tritt an das Fenster, sieht mit leerem, hohlem Blick auf die Straße. Doris beugt sich über das Kind, hebt die Rassel. »Sieh doch mal«, bittet sie. Klaus dreht sich nicht um. »Wenn er lacht, hat er deinen Mund ...«
Endlich geht Klaus vom Fenster weg. Er starrt auf das Bettchen. Doris betrachtet ihn lächelnd. »Findest du nicht?«
»Was?«
»Daß er deinen Mund hat?« »Vielleicht«, versetzt er zerstreut.
Langsam richtet sich Doris aus ihrer Hockstellung auf. Sie schaut ihn prüfend an.
»Ist etwas los, Klaus?« fragt sie.
»Nein.« Das Wort schwebt kraftlos in der Luft. Lügen muß
Klaus noch lernen.
»Du bist ein unbegabter Vater«, sagt Doris schmollend. »Ich
... ich möchte etwas trinken«, erwiderte er mit gesenktem Kopf,
»haben wir einen Kognak ... oder so etwas?«
Er ist fertig mit den Nerven, denkt Doris, während sie in seinem Gesicht forscht. Aber es entgleitet ihr wie eine Erinnerung, die sich in plötzliches Vergessen senkt. So kann die junge Frau nichts entziffern. Klaus wendet sich hastig ab.
»Nicht böse sein«, entgegnet Doris, »ich weiß ja, daß du ganz andere Dinge im Kopf hast ... aber Mütter sind nun mal so
...« Sie geht auf ihn zu und legt ihren Arm auf seine Schulter.
»Ich möchte doch nur, daß du an deinem Jungen Freude hast
...«
»Die habe ich doch«, entgegnet er heftig. Er preßt seine Hände gegen die Schläfen. »Glaub mir doch ...«, setzt er gequält hinzu.
Er geht zur Vitrine und holt den Schnaps. Er schenkt sich ein 264
und kippt ihn hinunter. Doris bemerkt, wie seine Hand zittert. Ihr Blick streift sein Gesicht und findet es fremd und alt. Da erschrickt die junge Frau und weiß nicht warum ... Die Maschine donnert durch die Nacht. Die Augen des Hauptmanns Steinbach hängen an den Instrumenten. Die Ohren seines Funkers kleben an den Kopfhörern. Durch die Kanzel der Ju 288 geistert fahles, grünlich-blaues Licht. Die Männer jagen durch die Nacht wie durch einen Tunnel. Er hat nur einen Ausgang: den Feind. Das sind heute, um 22 Uhr 35, zwei alliierte Bombengeschwader mit Kurs Berlin. Für die deutschen Nachtjäger wird das Kommando am Himmel zum Himmelfahrtskommando.
Klaus hat schmale Lippen. Seine Gedanken sind in Bayern, wohin Doris und das fremde Kind, das das eigene zu sein hat, evakuiert wurden. Seitdem ist Klaus wie erlöst. Erstens weiß er seine junge Frau außerhalb der Gefahrenzone des Luftkrieges, und dann endete eine Zeit, in der zwangsläufig jede Begegnung befangen, jede Geste verkrampft und jedes Wort verlogen waren.
Der Funker dreht gleichmütig an den Skalen. Plötzlich zieht er die Schultern hoch, kriecht fast in seine Instrumente hinein. Das Bordsprechgerät rauscht.
»Jetzt sind’s schon drei!« ruft der Funker. »Was ... drei?«
fragt Klaus mechanisch.
»Noch ein dritter Verband ist eingeflogen ... im Süden ... geht uns nichts an«, brummt der Oberfeldwebel. Nein, denkt Klaus, der hundertfache Tod geht uns nichts an. Im Gedanken an Doris umkrampft er das Höhensteuer. Der Ruck überträgt sich auf die Maschine. Sie macht einen Satz. In der nächsten Sekunde jagt ein schwarzer Schatten unter ihnen durch die stockdunkle Nacht.
»Hast du das gesehen?« brüllt der Oberfeldwebel entsetzt. 265
Klaus nickt. Um ein Haar hätte es einen Zusammenstoß
gegeben. Und weiter zieht die Maschine. Die vier Soldaten der Besatzung sind Automaten in einem Automaten, mit zweckgebundenen Bewegungen, mit zweckbestimmtem Auftrag. Die Funktion: Druck auf die Knöpfe. Die Kanonen schießen automatisch. Das Töten vollzieht sich von selbst. Wie das Getötetwerden.
Die Funksprechgeräte quietschen und pfeifen. An diesem dünnen Stakkato tastet sich die
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