3 - Wächter des Zwielichts
darüber, wie leicht mir die »niederen Dunklen« über die Lippen gingen. Früher hatte ich nie so von ihnen gesprochen. Da hatten sie mir leid getan.
Kostja reagierte gelassen auf meine Äußerung. In der Tat: ein Hoher Vampir. Konzentriert. Selbstsicher.
»Nicht sehr viele«, wich er aus. »Aber die werden wir überprüfen, da kannst du ganz beruhigt sein. Alle werden überprüft. Die niederen Anderen, aber auch die Magier.« »Bringt der Fall Sebulon auf die Palme?«, fragte ich.
»Geser ist auch nicht gerade die Ruhe in Person«, höhnte Kostja. »Das Ganze ist für alle unangenehm. Nur du nimmst die Sache auf die leichte Schulter.«
»Mir ist nicht klar, was daran so schlimm sein soll«, gestand ich. »Es gibt Menschen, die bereits von unserer Existenz wissen. Nur wenige, aber immerhin. Ein Mensch mehr oder weniger - das ändert doch nichts. Wenn er anfängt, Lärm zu schlagen, finden wir ihn im Handumdrehen und erklären ihn für psychisch krank. So was hat es...« »Und wenn er ein Anderer wird?«, fragte Kostja scharf.
»Dann gibt es einen Anderen mehr.« Ich zuckte mit den Achseln.
»Wenn er aber weder ein Vampir noch ein Tiermensch, sondern ein richtiger Anderer wird?« Kostja bleckte die Zähne zu einem Lächeln. »Ein echter? Egal, ob nun ein Lichter oder ein Dunkler...« »Dann gibt es einen Magier mehr«, wiederholte ich nur.
»Hör mir mal zu, Anton«, sagte Kostja kopfschüttelnd. »Ich mag dich. Immer noch. Aber manchmal kann ich mich nur wundern, wie naiv du bist...«
Er streckte sich. An seinen Armen wuchs ein kurzhaariges Fell, seine Haut dunkelte ein und verlor ihre Glätte.
»Nimm dir die Angestellten der Mieter vor«, riet er mit feiner, durchdringender Stimme. »Wenn du etwas witterst, ruf mich.«
Er wandte mir das in der Transformation verzerrte Gesicht zu. »Weißt du, Anton«, meinte er und lächelte abermals. »Nur wenn ein Lichter so naiv ist, kann ein Dunkler mit ihm befreundet sein...«
Daraufhin sprang er nach unten. Schwer schlugen seine ledernen Flügel. Eine etwas unbeholfene, aber dennoch schnelle, gigantische Fledermaus flog in die Nacht davon.
Auf dem Fensterbrett schimmerte das weiße Rechteck einer Visitenkarte. Ich nahm sie auf. »Konstantin. Wissenschaftliches Forschungsinstitut für Blutprobleme. Wissenschaftlicher Mitarbeiter« las ich.
Dann folgten die Telefonnummern: dienstlich, privat, Handy. Die Nummer zu Hause kannte ich, denn Kostja lebte immer noch bei seinen Eltern. Die Familienbande von Vampiren sind allgemein sehr eng. Woran hatte er gedacht? Warum diese Panik?
Ich schaltete das Licht aus, streckte mich auf der Matratze aus und starrte auf die grau schimmernden Quadrate der Fenster. »Wenn er ein richtiger Anderer wird...« Wie entstehen Andere? Niemand weiß das. Eine zufällige Mutation, wie Lass es ausgedrückt hat. Das traf es genau. Du wirst als Mensch geboren, lebst ein ganz normales Leben ... bis dann ein Anderer in dir die Fähigkeit erspürt, ins Zwielicht einzutreten und dort Kraft zu schöpfen. Danach »lenken« sie dich dann. Behutsam, mit Bedacht bringen sie dich in die nötige Geistesverfassung, damit du in einem Moment starker emotionaler Erregung deinen Schatten ansiehst - diesmal mit andern Augen. So dass du siehst, wie er gleich einem schwarzen Fetzen vor dir liegt, wie ein Vorhang ... den du zu dir heranziehen und beiseite schieben kannst, um in eine andere Welt einzutreten. In die Welt der Anderen. Ins Zwielicht.
Und davon, wie du das erste Mal ins Zwielicht eintrittst - fröhlich und gut oder unglücklich und böse - hängt ab, was du wirst. Welche Kraft du zukünftig aus dem Zwielicht schöpfst - das wiederum die Kraft aus den gewöhnlichen Menschen heraussaugt. »Wenn er ein richtiger Anderer wird...«
Es gibt immer die Möglichkeit, jemandem die Initiierung aufzuzwingen. Jedoch um den Preis des Lebens, indem man ihn in eine lebendige Leiche auf zwei Beinen verwandelt. Ein Mensch kann ein Vampir oder ein Tiermensch werden - und wäre gezwungen, seine Existenz durch Menschenleben aufrechtzuerhalten. Daher können nur Dunkle diesen Weg gehen ... Und selbst sie lieben ihn nicht besonders. Aber wenn man tatsächlich zum Magier werden konnte?
Wenn es für jeden x-beliebigen Menschen die Möglichkeit gab, sich in einen Anderen zu verwandeln? Ein langes, ein sehr langes Leben zu erhalten, in dem ihnen die ungewöhnlichsten Wege offen standen? Das würden viele wollen, ohne Zweifel.
Wir selbst hätten ja auch gar nichts dagegen.
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