3 - Wächter des Zwielichts
weshalb haben Sie mich angerufen?«, fragte ich.
Geser schwieg und durchbohrte mich mit seinem Blick. Was ihm nichts brachte. »Wenn ich dir alles erzählt habe, wirst du Swetlana anrufen«, sagte er dann. »Und zwar gleich von hier aus. Du wirst sie fragen, ob du einwilligen sollst. In Ordnung? Vom Urlaub erzählst du ihr auch.« »Was ist denn passiert?«
Statt zu antworten zog Geser eine Schublade in seinem Schreibtisch auf, holte eine schwarze Ledermappe heraus und reichte sie mir. Die Mappe verströmte einen deutlichen Geruch nach Magie. Nach schwerer Kampfmagie. »Öffne sie ruhig, du darfst das...«, brummte Geser.
Ich öffnete die Mappe. Ein Anderer, der kein Recht dazu hatte, oder ein Mensch würde sich nach einem solchen Versuch in eine Hand voll Asche verwandeln. In der Mappe lag ein Brief. Ein einzelner Umschlag.
Die Adresse unseres Büros war mit aus der Zeitung ausgeschnittenen Buchstaben akkurat aufgeklebt. Ein Absender fehlte natürlich.
»Die Buchstaben stammen aus drei Zeitungen«, erklärte Geser. »Aus der Prawda, dem Kommersant und Argumenty i fakty.« »Wie originell«, räumte ich ein. »Darf ich ihn aufmachen?«
»Nur zu. Die Kriminalisten haben schon alles Mögliche mit dem Briefumschlag angestellt. Es gibt keine Fingerabdrücke, der Kleber kommt aus China und wird an jedem Zeitungskiosk verkauft...«
»Und bei dem Papier handelt es sich um Klopapier!«, rief ich begeistert aus, als ich dem Umschlag ein paar Seiten entnahm. »Es ist doch wohl sauber?«
»Leider ja«, meinte Geser. »Nicht die geringste Spur von organischen Stoffen. Gewöhnlicher billiger Pipifax. Marke Vierundfünfzig Meter.«
Das Blatt Klopapier, achtlos an der Perforation abgerissen, war ebenfalls mit Buchstaben aus besagten drei Zeitungen beklebt. Genauer: mit ganzen Wörtern, nur die Endungen waren ab und an ohne Berücksichtigung der Schriftart verbessert worden.
ES sollte DIE NACHTWACHE INTERESSIERen, dass EIN hat und aus DIESEm MENSCHen jetzt einen ANDEREN machen will Ein FREUND.
Beinahe hätte ich losgelacht. Doch dann blieb mir das Lachen im Hals stecken. »Wo hat er denn die Nachtwache her?«, fragte ich stattdessen. »Sieht fast so aus, als sei das Wort im Ganzen ausgeschnitten worden.«
»Es gab einen Artikel in Argumenty i fakty«, erklärte Geser. »Über den Brand im Fernsehturm. Er war mit DIE NACHTWACHE AM FERNSEHTURM IN OSTANKINO getitelt.«
»Wirklich originell«, stimmte ich zu. Die Erwähnung des Fernsehturms ließ mich leicht erschaudern. Das war nicht gerade die spaßigste Zeit gewesen. Und nicht gerade das spaßigste Abenteuer. Mein ganzes Leben lang wird mich das Gesicht des Dunklen verfolgen, den ich im Zwielicht vom Fernsehturm gestürzt hatte...
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Anton. Du hast alles richtig gemacht«, sagte Geser. »Kommen wir zur Sache.«
»Gut, Boris Ignatjewitsch.« Ich sprach den Chef mit seinem alten »zivilen« Namen an. »Müssen wir das etwa ernst nehmen?«
»Der Brief riecht nicht im Geringsten nach Magie«, meinte Geser schulterzuckend. »Entweder hat ihn also ein Mensch geschrieben oder ein fähiger Anderer, der seine Spuren verwischen kann. Wenn es ein Mensch war ..., heißt das, dass wir irgendwo eine undichte Stelle haben. Wenn es ein Anderer war..., handelt es sich um eine absolut verantwortungslose Provokation.« »Keine Spuren?«, hakte ich noch mal nach.
»Keine. Der einzige Anhaltspunkt ist der Poststempel.« Geser runzelte die Stirn. »Und an dem ist garantiert was faul...«
»Was heißt das? Ist der Brief aus dem Kreml abgeschickt worden?«, feixte ich.
»Fast. Der Kasten, in den der Brief gesteckt wurde, befindet sich auf dem Gelände des Wohnkomplexes Assol.«
Die endlos hohen Häuser mit roten Dächern - Genosse Stalin hätte ohne Zweifel seine Freude an ihnen gehabt - kannte ich. Jedoch nur von außen. »Da kommt man nicht so einfach rein, oder?«
»Richtig.« Geser nickte. »Nachdem unser Unbekannter einen solchen Aufwand mit dem Papier, dem Kleber und den Buchstaben getrieben hat, schickt er den Brief also aus dem Assol ab. Damit begeht er entweder eine Riesendummheit...« Ich schüttelte den Kopf.
»... oder lockt uns auf eine falsche Fährte.« An dieser Stelle legte Geser eine Kunstpause ein und beobachtete aufmerksam, wie ich reagierte.
Ich dachte nach. Und schüttelte abermals den Kopf. »Das ist sehr naiv. Nein.«
»Oder unser >Freund<« - das letzte Wort sprach Geser mit offenem Sarkasmus aus - »will uns in der Tat
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