3 - Wächter des Zwielichts
kann?«
»Dann ist mir alles einerlei«, drohte Arina. »Dann werde ich versuchen, mit Gewalt durchzubrechen. Und euer Mädchen werde ich ohne Diskussion umbringen.«
»Wozu?«, fragte ich mit äußerster Ruhe. »Was würde dir das bringen?«
»Wie, was würde mir das bringen?«, wunderte sich Arina. »Wenn ich durchbreche, ist jedem sofort klar, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Außerdem ... weiß ich genau, wer sich freuen würde, wenn jemand die Drecksarbeit für ihn erledigt. Für den Tod eurer Tochter würde er mich gut bezahlen.«
»Wir werden alles versuchen«, versicherte Swetlana und drückte mir fest die Hand. »Hörst du, Hexe? Rühr das Kind nicht an, wir werden dich retten!«
»Abgemacht«, meinte Arina offenkundig erleichtert. »Denkt darüber nach, wie ihr mich durch die Sperren bringt. Ihr habt drei Stunden Zeit. Wenn dir früher etwas einfällt, Zaubermeisterin, dann nimm den Kamm und kämm dich.«
»Aber rühr Nadjuschka nicht an!«, schrie Swetlana mit bebender Stimme. Dann führte sie mit der linken Hand Passes aus.
Der Kamm überzog sich mit einer Eiskruste. Swetlana knallte ihn auf den Tisch. »Dieses blöde alte Ding ...«, murmelte sie. »Anton?«
Eine Sekunde sahen wir einander an. Als würfen wir uns gegenseitig den Ball zu, um nicht selbst die Initiative zu ergreifen.
»Es ist sehr riskant, Sweta«, sagte ich schließlich. »In einem offenen Kampf zieht sie gegen uns den Kürzeren. Deshalb bringt sie sich in Gefahr, wenn sie Nadja zurückgibt.«
»Wir bringen sie durch die Sperre ... finden einen Weg...«, flüsterte meine Frau. »Soll sie doch aus dem Sperrgebiet rauskommen und Nadenka irgendwo außerhalb zurücklassen. Ich finde sie sofort. Soll sie doch in irgendeine Stadt fahren und Nadja dort lassen! Ich bahne einen Weg ... ich weiß, wie. Ich kann das! Und in einer Minute wäre ich dort!«
»Richtig«, nickte ich. »In einer Minute. Und dann? Die Hexe wäre noch nicht weit. Und sobald Nadja bei uns ist, würdest du Arina finden und sie dematerialisieren wollen.«
»Zerreißen, nicht dematerialisieren ...«, meinte Swetlana nickend. »Genau das hätte diese Hexe verdient: Sie beansprucht unsere Hilfe, ermordet Nadja aber trotzdem. Was sollen wir bloß machen, Anton? Geser rufen?« »Was, wenn sie das wittert?«, fragte ich zurück. »Und ein Anruf?«, schlug Swetlana vor.
Ich überlegte. Nickte. Arina hatte sich zu lange aus dem Leben ausgeklinkt. Ob sie überhaupt wusste, dass wir uns mit Geser nicht nur auf magische Weise, sondern auch mit einem simplen Funktelefon in Verbindung setzen konnten?
Swetlana hatte ihr Handy im Haus gelassen. Sie beförderte es mit denselben beiläufigen Passes herbei wie den Kamm. Dann sah sie mich noch einmal an. Ich nickte.
Es war Zeit, um Hilfe zu bitten. Zeit, Hilfe zu fordern. Die gesamte Moskauer Nachtwache. Schließlich knüpfte Geser an Nadenka seine eigenen, uns nicht bekannten Hoffnungen... »Wartet!«, rief uns jemand von der Pforte her zu.
Wir drehten uns um, wobei wir - vermutlich überflüssiger Weise - die Hände abrupt hochrissen und Kampfstellung einnahmen. Die Welt war für uns nicht die normale Menschenwelt. Wir lebten jetzt in der Welt der Anderen, einer gefährlichen Welt, in der die Kraft der Zauber und das Reaktionsvermögen alles entscheiden. Doch wir brauchten uns nicht in den Kampf zu stürzen.
An der Pforte stand ein junger Mann, hinter ihm drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen. Sowohl der Mann wie auch die Kinder trugen eine grau-grüne paramilitärische Kluft, die an die Uniform einer zerschlagenen Armee erinnerte. Der Mann mochte fünfundzwanzig sein, die Kinder zehn. Ihr Vater konnte er nicht sein, ihr Bruder wohl auch nicht, dazu sahen die vier Gesichter zu unterschiedlich aus.
Nur eins verband sie: die dunkle Aura. Eine wilde, zottelige Aura, die in keiner Weise zu den freundlichen Gesichtern und den ordentlich geschnittenen Haaren passte. »Da hätten wir also auch unsere Werwölfe«, murmelte ich. Der Mann senkte kurz den Kopf und gab mir Recht. Was bin ich nur für ein Blödmann!
Ich suche einen Erwachsenen mit drei Kindern, denke aber nicht an das Pionierlager!
»Seid ihr gekommen, um euch zu stellen?«, fragte Swetlana kalt. »Dazu ist es zu spät!«
Wie schwach diese Anderen auch sein mochten, sie mussten den Kraftwirbel gespürt haben, der sich hier eben erhoben hatte. Und auch die von Swetlana ausgehende Kraft, die Tiermenschen, Vampiren und sonstigem magischen Kleinvieh keine Chance
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