30 - Auf fremden Pfaden
dich belästigen?“
„Es ist keine Belästigung, sondern eine Freude für mich, da ich dir mein Geheimnis nun einmal habe offenbaren müssen. Du sollst bei mir in dem Haus wohnen, dessen Tochter und andere Bewohner du durch deine Weisheit so glücklich gemacht hast. Eine gute, passende Kleidung werde ich dir zunächst leihen; denn, wenn du ohne Gefahr für dich ausgehen kannst, magst du die deinige tragen.“
Ich wohnte sechs Tage bei ihm; dann konnte ich Kairo verlassen. Am fünften Tag ging ich zum erstenmal aus. Eben trat ich aus dem Tor, da kam der Soldat die Gasse herab, dem ich den Beutel gegeben hatte. Er wollte an mir vorüber, ohne mich zu erkennen; da sagte ich zu ihm:
„Halt, du Diener der Okba-Moschee zu Kaïrwan! Hat dir der Kutb geholfen?“
Er blieb stehen und starrte mich an, ohne zu antworten.
„Hast du den Beutel geöffnet, den dir der Bettler gab, der kein Moslem, sondern ein Christ war?“
„Ja“, antwortete er, indem sein Blick noch immer forschend an meinem Gesicht hing.
„War die erbetene Hilfe drin?“
„Ja; es waren achtzehnhundert Piaster.“
„Und nun wirst du desertieren?“
„Deser – – – Allah! Ist es möglich? Bist du es, der der Bettler war, o Herr?“
„Ja.“
„Und du bist ein Christ?“
„Ja.“
„Und da wagtest du, an diesem Tag unter dem Tor des Kutb zu sitzen!“
„Warum nicht? Gerade dort war ich am sichersten.“
„Du bist reich, trotzdem du ein Bettler warst?“
„Reich bin ich nicht; ich habe gerade so viel, wie ich brauche.“
„Und du hast mir so viel Geld geschenkt? Herr, das hätte kein Moslem getan! Und unter den Christen bist du auch der allereinzige.“
„Da irrst du dich. Jeder gute Christ hätte dir das Geld gegeben, wenn er in meiner Lage und an meiner Stelle gewesen wäre.“
„Ist das wahr, Herr?“
„Ja.“
„Das glaube ich nicht, denn die Christen sind, dich ausgenommen, räudige Hunde, welche einer falschen, lügnerischen Lehre anhängen.“
„Kennst du diese Lehre?“
„Nein!“
„Wie kannst du da über sie urteilen?“
„Ich habe es von unseren Aimma (Plural von Imam, mohammedanischer Geistlicher) gehört.“
„Die auch nichts davon wissen.“
„Du irrst. Sie verfluchen das Christentum und müssen doch wissen, warum.“
„Sie haben keine Ahnung von unserer Lehre. Wäre sie ihnen bekannt, so würden sie sie segnen, anstatt sie verfluchen. Hast du Hoffnung, nach deiner Heimat zu entkommen?“
„Ja.“
„Sag' mir deinen Namen!“
„Ich heiße Gilad. Du bist mein Wohltäter; darf ich auch nach dem deinigen fragen?“
„Man nennt mich Kara Ben Nemsi Effendi.“
„Kara Ben – – –“
Er trat zwei, drei, Schritte zurück; seine Augen funkelten, und er ballte die Fäuste; da aber dachte er an das Geld, welches ich ihm gegeben hatte, und sein Gesicht wurde wieder freundlicher, als er fragte:
„Kara Ben Nemsi Effendi? So bist du der Christ, der vor einigen Jahren in Kaïrwan und in unserer heiligen Moschee gewesen ist?“
„Ja.“
„Wußtest du, daß kein Christ nach Kaïrwan darf?“
„Ich wußte es.“
„Daß jeder Andersgläubige getötet wird, der es wagt, die Stadt zu betreten?“
„Es war mir bekannt.“
„Allah, Allah! Mußt du ein kühner Mann sein! Du bist der einzige Christ, der Kaïrwan gesehen und gar in der heiligsten Moschee des Westens gewesen ist. Allah hat es gegeben, daß du damals entkommen bist; aber wage es ja nie wieder, unsere Stadt durch die Schritte deines Fußes zu schänden!“
„Es ist keine Schande, sondern eine Ehre für euch, wenn ein Christ zu euch kommt. Das will ich dir beweisen. Du sollst Christus, den Sohn Gottes, kennen lernen. Komm mit herein in das Haus!“
Ich führte ihn nach meinem Zimmer und schenkte ihm die vier Evangelien und die Apostelgeschichte, in das Arabische übersetzt. Er steckte das Buch ein, sah mir ernst in die Augen und sagte dann:
„Effendi, eigentlich sollte ich dich für dein damaliges Verbrechen töten; aber du hast mir Wohltat erwiesen; ich will dich schonen; wir sind quitt!“
Er ging fort, ohne einen Gruß zu sagen. Ich wünschte still hinter ihm her, daß es ihm gelingen möge, in die Heimat und zu den Seinigen zurückzukehren. – – –
2. In Kaïrwan
Nach dem bisher Erzählten war längere Zeit vergangen, und ich befand mich in Tunesien. Ich hatte meinen Freund Ali en Nurabi, den Scheik der Uëlad Sebira-Beduinen, besucht, war zwei Wochen bei ihm gewesen und wollte nun wieder an das Meer, aber
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