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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht in die Richtung nach der Hauptstadt Tunis, sondern ich zog es vor, ostwärts nach Hammamet zu reiten, um die Ortschaften Testur und Saghuan kennen zu lernen.
    Bis nach Testur gab mir Ali en Nurabi mit einigen seiner Leute das Geleit; aber weiter konnte er mich nicht begleiten, weil mein Weg von da aus durch das Gebiet von Stämmen führte, welche mit dem seinigen in Feindschaft lebten; er hätte sein Leben gewagt. Ich ritt also nun allein und zwar zunächst von Testur aus südlich, wo ich im Wadi Silian von den Uëlad Riahh leidlich gut aufgenommen wurde. Dann wandte ich mich westlich nach dem See el Kursia, der im Gebiete der Uëlad Trabersi liegt. Von da aus ging es auf das Wadi Melah zu, von welchem Saghuan nur zwanzig Kilometer ostwärts liegt.
    Bis hierher war alles zu meiner Zufriedenheit gegangen; aber noch hatte ich das Wadi Melah nicht erreicht, da wendete sich das Glück, welches mich so weit begleitet hatte, plötzlich von mir.
    Nach der Ebene, in welcher der See el Kursia liegt, wird die Gegend plötzlich bergig. Man hat steil empor zu reiten und sieht dann, oben angelangt, die Höhen sanft nach Osten abfallen. Hier gibt es einige Wasserläufe und infolgedessen Vegetation. Ich traf ein Wäldchen von Korkeichen, bei welchem ich anhielt, um mein Pferd ausruhen zu lassen. Ich selbst streckte mich auch im Gras aus und schloß die Augen, welche mir von der Glut und dem grellen Licht der Sonne weh taten.
    Da hörte ich den Schrei eines Geiers und blickte wieder auf. Wenn ein Geier so schreit wie dieser, so gibt es Fraß für ihn. Zwei dieser Vögel schwebten hinter mir über dem Wald. Sie zogen enge Kreise, gar nicht sehr hoch, senkten sich aber nicht herab. Ihre Beute war entweder noch nicht tot oder der Art, daß sie sich nicht an sie getrauten.
    Ich stand auf und durchschritt das Wäldchen, um zu sehen, was es war. Am jenseitigen Rand desselben sah ich es liegen. Es war kein Tier, sondern ein – Mensch, ein Beduine. Er lag in einer Blutlache auf dem Rücken und hatte mehrere Messerstiche in der Brust; das Messer steckte noch darin. Hier war ein Mord geschehen, und zwar kein Raubmord, sondern ein Mord infolge der Blutrache; sonst hätte der Mörder das Messer nicht stecken lassen.
    Die Tat konnte erst vor kurzem geschehen sein, denn die Lache war noch nicht geronnen. Ich zog das Messer aus der Wunde, wischte es im Gras ab und steckte es in meinen Gürtel, um es den Bewohnern des Wadi mit der Meldung von der Auffindung der Leiche zu übergeben.
    Der Anblick derselben hatte mir die Lust, hier auszuruhen, genommen; ich kehrte zu meinem Pferd zurück, stieg auf und ritt weiter. Ich brauchte ungefähr eine Stunde, um hinab in das Wadi Melah zu kommen.
    Ich mochte vielleicht die Hälfte dieses Weges zurückgelegt haben, als ich Pferdeschritte hinter mir hörte. Ich wandte mich um und sah eine Schar von vielleicht zwanzig Beduinen, welche in scharfem Trab hinter mir herkamen. Dem Brauch nach hielt ich an und drehte mein Pferd um, ihnen entgegensehend.
    Als sie mich erreichten, umringten sie mich im Nu; da dies bei diesen Leuten so Brauch ist, machte es mich nicht besorgt; ich grüßte also freundlich:
    „Sallam aaleïkum! Könnt ihr mir sagen, welcher Stamm jetzt da unten im Wadi Melah liegt?“
    „Das sollst du bald erfahren, du Hund“, antwortete der Anführer. „Nehmt ihn fest!“
    Vierzig Hände streckten sich nach mir aus. Ich hätte mich wehren können, denn ich war ausgezeichnet bewaffnet und fürchtete mich nicht; aber da hätte ich Blut vergießen müssen, und das wollte ich nicht. Ich wurde im Nu festgehalten, entwaffnet und auf das Pferd gebunden.
    „Was fällt euch ein!“ rief ich. „Ich bin ein friedlicher Wanderer und habe euch nichts getan.“
    „Uns nicht, aber einem andern“, antwortete der Anführer, indem er meine Waffen untersuchte. Dabei nahm er auch das Messer des Toten in die Hand.
    „Hier, hier klebt noch Blut!“ sagte er. „Er ist's, er ist's; wir haben den Mörder. Ed dem b' ed dem – Blut um Blut. Er muß sterben! Sag' uns, Hund von welchem Stamm du bist!“
    „Von keinem. Ich bin ein Fremdling hier und gehöre zum Volk der Aleman (Deutschen).“
    „Lüg' nicht! Wir sind Uëlad Siminscha, und der, den du ermordet hast, ist ein Bruder von uns.“
    „Hat Allah dir keine Augen gegeben? Siehst du nicht, daß ich zwei Messer bei mir hatte? Wer aber trägt zwei Messer herum? Das eine gehört mir; das andere habe ich aus der Brust des Toten gezogen, um es unten im Wadi

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