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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verzweifelten Lagen befunden und mich doch befreit. Warum nicht auch hier? Ich sann und sann, fand aber keinen Rettungsweg. Ja, wenn man mich angehört hätte! Es war nur eine einzige, ganz geringe Hoffnung möglich: In der Lage, in welcher ich mich jetzt befand, mit so weit ausgespreizten Armen und Beinen konnte man mich nicht begraben; man war also gezwungen, mich von den Zeltstangen loszubinden, und wenn man das tat, bekam ich wenigstens für einige Augenblicke meine Glieder frei. Diese Augenblicke mußte ich benutzen; aber wie, das konnte ich vorher nicht wissen, sondern das mußte der Augenblick ergeben.
    Eben als ich mit diesem Gedanken fertig geworden war, bemerkte ich, daß die Aufmerksamkeit der Beduinen sich auf etwas richtete, was außerhalb des Lagers vorging. Ich hörte el Bija, el Bija (der Händler) rufen. Es schien also ein Handelsmann zu kommen. Ein Handelsmann aber kann kein Beduine sein. Vielleicht war er ein Maure, ein Jude, ein Levantiner. Wenn die Uëlad Siminscha ihm erlaubten, mit mir zu reden, so brachte er sie vielleicht dahin, daß sie nachträglich doch noch meine Verteidigung anhörten, und wenn sie das taten, so war doch noch nicht alles verloren.
    Jetzt sah ich ihn kommen, mit zwei Gehilfen, welche seine Packpferde zu beaufsichtigen hatten. Seine Ankunft mußte den Beduinen lieb sein; das sah und hörte ich aus der Art und Weise, wie sie ihn bewillkommneten. Er stieg vom Pferd und schüttelte dem Scheik die Hand. Sie sprachen miteinander. Der Scheik führte ihn zur Leiche des Ermordeten und blieb dort erzählend mit ihm stehen; dann zeigte er zu mir herüber. Der Händler drehte sich herum, sah mich liegen und kam herbei. Der Scheik folgte ihm.
    „Was sagtest du, von welchem Volke will er sein?“ fragte er den Scheik.
    „Einen Alemani hat er sich genannt. Er wollte uns betrügen. Wenn ich die Sprache der Aleman verstände, würde ich versuchen, ob er da zu antworten vermag.“
    „Ich verstehe sie auch nicht; aber wenn er wirklich ein Alemani ist, so muß er wenigstens einige Worte der Fransawiji (Franzosen) verstehen. Soll ich es einmal versuchen?“
    „Tue es! Es wird aber nichts nützen.“
    Da fragte mich der Händler in fließendem Französisch:
    „Sie wollen ein Deutscher sein? Können Sie mich verstehen?“
    „Sehr gut verstehe ich Sie“, antwortete ich in der selben Sprache. „Sie sind ein Handelsmann? Woher?“
    „Mon dieu! Sollten Sie wirklich ein Europäer, ein Deutscher sein?“
    „Das bin ich allerdings.“
    „Woher?“
    „Ich bin ein Sachse. Man hat mich unschuldig verurteilt und hört mich nicht an. Ich soll lebendig eingegraben werden.“
    „Das wird nicht geschehen. Ich bin Franzose, mein Herr, liebe es aber aus gewissen Gründen, für einen Eingeborenen zu gelten. Verraten Sie dies nicht! Sie werden sofort frei sein.“
    Er wandte sich an den Scheik:
    „Dieser Mann ist wirklich ein Alemani und hat dich nicht belogen!“
    „Nicht? Aber der Mörder ist er doch!“
    „Nein.“
    „Das behauptest du?“
    „Ja. Ein Alemani ist kein Mörder.“
    „Das Messer, mit dem der Mord geschah, ist sein.“
    „Nein!“ rief ich dazwischen. „Ich zog es der Leiche aus der Brust.“
    „Schweig', Hund! Wenn du noch ein Wort –“
    Der Händler unterbrach ihn mit einer Handbewegung und sagte:
    „Ich habe mir bis jetzt nur erzählen lassen und selbst noch nichts sagen können; jetzt will ich reden: ich weiß, wer der Mörder ist.“
    „Wer? Etwa nicht dieser Fremde?“
    „Nein. Ich komme vom Bah Saghnan herunter; da begegnete uns ein einzelner Reiter, der mich fragte, wohin ich wolle. Ich sagte es ihm; da lachte er und sprach: ‚Wenn du zu den Uëlad Schamanisch kommst, so sag' ihnen, daß oberhalb des Wadi Melah ein Toter liegt, in dessen Herz mein Messer steckt.‘“
    „Allah!“ rief der Scheik. „Wer war dieser Mann?“
    „Steht ihr mit den Uëlad Selass in Blutfehde?“
    „Ja.“
    „So stimmt es. Ich habe mit dem Mörder gesprochen.“
    Er nannte den Namen des Uëlad Selass, der ihm begegnet war, und kaum hatte der Scheik ihn gehört, so bückte er sich zu mir nieder, durchschnitt mir meine Fesseln und sagte:
    „Du bist unschuldig. Steh auf! Du bist frei.“
    Natürlich sprang ich auf, und wie schnell!
    „Sag' Allah Dank, daß dieser Händler gekommen ist!“ fuhr der Scheik fort. „Wir hätten dich mit dem Toten begraben.“
    „Und danke auch du Allah“, erwiderte ich, „daß du nicht zum Mörder an mir geworden bist! Ich habe noch niemals einen

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