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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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er. „Komm herein!“
    Wir krochen durch ein Loch und befanden uns dann in der armseligen Bude, welche als die Wohnung des Schahad galt. Zerfetzte Kleidungsstücke hingen an den Wänden, und auf der Lehmdiele standen und lagen henkellose oder sonstwie zerbrochene Gefäße. Er setzte die Laterne nieder und fragte in sehr ernstem Ton:
    „Willst du dich von mir retten lassen? Du hast nicht an die Gefahr geglaubt; nun ist sie da. Horch!“
    Ich hörte durch die Tür die Stimmen und Schritte vieler Menschen.
    „Es gilt also wirklich den Ausländern?“ fragte ich.
    „Ja. Es ist sogar möglich, daß der Khedive abgesetzt wird.“
    „Kann ich aus der Stadt?“
    „Unmöglich!“
    „Willst du mich hier verbergen?“
    „Nein. Auch hier bist du nicht sicher. Sicherheit findest du nur am Tor Zuweilen.“
    „Ah, ich errate! Als Bettler?“
    „Ja, als Bettler an meiner Stelle. Willst du? Es handelt sich wirklich um dein Leben.“
    Wie viel hätte ich gegen diese Zumutung vorbringen können! Ich glaubte noch immer nicht recht an die Gefahr; die Sache kam mir lächerlich vor. Da aber machte sich die Abenteuerlust geltend; ich beschloß, mitzutun, und erkundigte mich vorher nur:
    „Wie steht es mit meinem Koffer und meinen Gewehren, wenn man mich wirklich bei dir sucht?“
    „Daran wird man sich nicht vergreifen.“
    „Werde ich am Bab Zuweileh nicht als Fremder erkannt werden?“
    „Nein; dafür sorge ich.“
    „Wie habe ich mich zu verhalten?“
    „Wie ein Bettler; das ist alles. Wenn ein anderer Bettler bemerkt, daß ich nicht dort bin, so wird er es dem Dilendschi Baschi (Oberhaupt der Bettler) sagen; kommt dieser, so zeigst du ihm die Münze vor, die ich dir mitgebe; dann ist es gut. Heut abend kommst du hierher, wo ich auf dich warten werde.“
    „Gut, ich mache mit!“
    „So will ich dich umwandeln.“
    Ich bekam einen noch schlechteren Anzug, als der meinige war, und wurde an Gesicht, Hals und Händen mit einer dunklen Flüssigkeit bepinselt. Wie ich nun aussah, konnte ich nicht sehen, weil es keinen Spiegel gab. Ich bekam die erwähnte Münze und den Schlüssel zur Tür; dann sagte er:
    „Nun geh! Es ist die höchste Zeit. Die Tür hier schließt du von außen wieder zu. Heut abend sehen wir uns wieder.“
    Er kehrte durch das Loch dahin zurück, woher wir gekommen waren, und ich schloß die Haustür auf, um mich als Schahad nach dem Bab Zuweileh zu begehen und einen Tag lang der Liebling und Diener des Kutb zu sein.
    Schon herrschte auf unserer Gasse reges Leben. Niemand kümmerte sich um mich. Ich sah, daß ich nicht erkannt wurde, so hatte mich das Anstreichen mit der Flüssigkeit verändert. Je weiter ich kam, desto deutlicher wurde es mir, daß es sich freilich um einen Aufstand handelte. An den Gassen- und Straßenecken standen bewaffnete Militärwachen, und auf einigen Plätzen sah ich sogar Kanonen. Es war jener 9. September 1881, an welchem Arabi Pascha mit 4.000 Soldaten und 30 Geschützen den Abdinpalast umzingelte und den darin residierenden Vizekönig zwang, das Ministerium Riaz zu entlassen, eine Verfassung zu gewähren und das Heer auf 18.000 Mann zu vermehren. Das war das Vorspiel zu dem Europäermord in Alexandrien und der Beschießung dieser Stadt durch die englische Flotte. Jetzt wußte ich nun freilich, daß sich mein Leben in Gefahr befand.
    Bei dem Tor Zuweileh angekommen, setzte ich mich dort nieder, um meinem heutigen Beruf als Schahad obzuliegen. Es war inzwischen völlig Tag geworden. Die Bevölkerung war noch in Aufregung und Bewegung, und ich bekam manche Gabe in die ausgestreckte Hand. Bald aber änderte sich das. Arabi Pascha hatte befohlen, daß jedermann daheim zu bleiben habe, und die Gassen wurden leer. Ich bekam nur noch Soldaten zu sehen; die aber geben nichts; sie nehmen lieber. Dafür wurde ich reichlich durch die Beobachtungen entschädigt, welche ich von meinem Sitz aus machte: ich hörte alle Bitten, welche dem Kutb vorgetragen wurden.
    Da kamen Patrouillen, einzeln oder aus mehreren Soldaten bestehend, Pikette nach orientalischer Weise, abgelöste Posten, sonstige Trupps von Soldaten, Adjutanten und sonstige Offiziere. Kein einziger ging vorüber, ohne wenigstens den Anfang der heiligen Fatcha zu beten, und viele blieben stehen, um dem unsichtbar hinter dem Torflügel wohnenden Geist zu sagen, was sie von ihm wünschten. Ich bekam da sonderbares Zeug zu hören, und oft kam mich ein innerliches Lachen an.
    Unter diesen Bittenden war einer, der einen tiefen Eindruck

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