30 - Auf fremden Pfaden
auf mich machte. Er kam matt und langsam herbei und war hager und abgezehrt; als ich ihm die Hand entgegenhielt, sagte er:
„Ich kann dir nichts geben, denn ich habe selbst nichts und brauche doch so viel!“
Dann kniete er nieder, verbeugte sich nach dem Winkel hin, in welchem der Kutb wohnen sollte, und betete:
„Allah il Allah wa Mohammed rassuhl Allah! Höre mein Flehen, o Kutb, du Geist der Gewährung aller Bitten! Laß mich die Meinen wiedersehen, den Vater und die Mutter, das Weib und das Kind, an denen mein Herz hängt. Gib mir das Geld, welches ich brauche, um von hier fortzukommen, denn die Sehnsucht zehrt an meinem Leib und an meiner Seele. Hilf mir, o Kutb, aber hilf bald, sonst nimmt der Gram mich weg aus diesem Leben!“
Dieses Gebet rührte mich tief. Der Mann war wirklich krank vor Heimweh und Sehnsucht. Als er sich wieder erhoben hatte, sagte er zu mir:
„O Schahad, du bist der Diener des Kutb; bitte für mich!“
„Wo ist deine Heimat?“ fragte ich.
„Im fernen Tunis.“
„Was bist du da?“
„Diener an der Okba-Moschee zu Kaïrwan.“
„Wie kommst du hierher?“
„Ich pilgerte nach Mekka, der heiligen Stadt. Auf dem Rückweg wurde ich schwer krank; ich blieb liegen und verlor alle meine Habe; noch war ich nicht ganz wieder gesund, da zwang man mich unter die Soldaten. Ich werde sterben, wenn der Kutb mir keine Hilfe sendet.“
„Du bittest ihn um Geld. Wenn er es dir gäbe, könntest du doch nicht fort.“
„Warum nicht?“
„Du bist Soldat und müßtest desertieren.“
„Allah beschützt jeden Gläubigen; er würde auch mich beschützen.“
„So warte einen Augenblick!“
Der Mann erbarmte mich. Ich fragte ihn, ob er lesen könne; er bejahte es. Ich zog mein Notizbuch hervor, in der Hand eines Bettlers wohl ein seltener Gegenstand, riß ein Blatt heraus und schrieb darauf, natürlich in arabischer Sprache:
„Der Kutb kann dir nicht helfen; es gibt keinen Helfer, außer Gott. Ich, der Bettler, bin kein Moslem, sondern ein Christ; dennoch gebe ich dir das Geld, denn du bist mein Bruder, weil alle Menschen Gottes Kinder sind.“
Diesen Zettel legte ich in den Beutel, den mir der Wasserträger gebracht hatte, band ihn fest zu und gab ihn dem Manne hin:
„Hier nimm! Wenn du mir gehorchst, findest du vielleicht Erhörung deiner Bitte. Wirst du jetzt tun, was ich dir sage?“
„Was soll ich tun?“
„Du steckst diesen Beutel jetzt ein und öffnest ihn nicht eher als morgen genau nach dem Nachmittagsgebet.“
„Eher nicht?“
„Nein, wenn du wirklich Hilfe erwartest.“
„Ich werde tun, was du begehrst, o Schahad; das verspreche ich dir bei meinem Bart und bei allen denen, nach denen ich mich sehne. Erhalte ich Hilfe, so sehen wir uns wieder, denn ich kehre hierher zurück, um dem Kutb zu danken.“
Er steckte den Beutel ein und ging. Ich hatte aus Mitleid und nach einer Eingebung des Augenblicks gehandelt. Öffnen sollte er den Beutel erst morgen, weil es für mich höchst gefährlich gewesen wäre, wenn er schon heut erfahren hätte, daß ich kein Moslem war.
Das, was an diesem Tag weiter geschah, ist hier von keiner Bedeutung; er verlief für mich ganz glücklich, während es anderen Fremden traurig erging. Als es dunkel geworden war, machte ich mich nach dem Bettlerhaus auf, in welches ich mit Hilfe des Schlüssels gelangte. Dort erwartete mich Abu Gibrail, wie er versprochen hatte. Er war doch sehr in Sorge um mich gewesen. Man hatte seine ganze Wohnung einigemal nach mir durchsucht und auch meine Sachen gesehen, sie aber glücklicherweise nicht beachtet.
Wir krochen durch das Loch, um in das große Vorderhaus zu gelangen. Dort führte er mich nach dem Zimmer, in welchem ich gestern gewesen war und geschlafen hatte. Er brachte mir da einen Spiegel. Als ich in demselben mein Gesicht erblickte, wunderte ich mich nicht darüber, daß mich niemand erkannt hatte; ich sah schrecklich aus. Der Diener mußte Wasser und Seife bringen, und nach einigem Bemühen gelang es mir, wieder zu meinem eigentlichen Aussehen zu kommen.
„Du wirst noch einige Tage mein Gast sein müssen, Effendi“, sagte der Hausherr. „Die Bewegung des heutigen Tages muß sich erst legen. Du kannst unmöglich schon fort.“
„Wird es so schnell vorübergehen?“
„Ich hoffe es, weil der Khedive auf die Bedingungen des Arabi Paschas eingegangen ist. Dadurch hat er vielen, vielen Europäern, welche sonst ganz gewiß getötet worden wären, das Leben erhalten.“
„Aber darf ich
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