30 - Auf fremden Pfaden
vorzuzeigen. Wenn ihr lesen könnt, will ich euch beweisen, daß ich ein Alemani bin.“
„Schweig! Wir brauchen nicht lesen zu können, um zu wissen, daß du der Mörder bist. Sieh, dort bringen sie dein Opfer! Wir sahen deine Spur und sind schnell vorausgeritten, um dich einzuholen.“
„Hätte ich mich einholen lassen und hier auf euch gewartet, wenn ich der Mörder wäre?“
„Das hast du getan, um uns zu täuschen!“
„Ihr müßt aber doch einsehen, daß es sich um eine Blutrache handelt, denn das Messer steckte noch in der Wunde!“
„Es steckte nicht in der Wunde, sondern in deinem Gürtel.“
„Wo lagert euer Stamm?“
„Unten im Wadi.“
„Wohin ich ritt? Reitet ein Mörder zu denen, deren Bruder er getötet hat?“
„Wir werden dir nicht hier antworten, sondern unten im Lager, wenn wir dort angekommen sind und die Dschema (Versammlung der Ältesten) über dich gerichtet hat. Jetzt vorwärts, Leute! Einer mag vorausreiten, um die Unserigen zu benachrichtigen.“
Dies geschah, und es läßt sich leicht denken, wie wir bei unserer Ankunft empfangen wurden. Das war ein Gebrüll, ein Heulen und Schreien, wie ich es kaum jemals gehört hatte. Hätten mich die Krieger nicht in ihrer Mitte gehalten, ich wäre von den Weibern in Stücke gerissen worden.
Das Duar (Zeltdorf) war ein stark besetztes Lager; es standen über sechzig Zelte da; draußen weideten zahlreiche Pferde, Kamele und Schafe. Ich wurde vom Pferd genommen und mit ausgestreckten Armen und Beinen an zwei kreuzweise übereinandergelegte Zeltpfähle gebunden; das verursachte mir nicht geringe Schmerzen. Drei Krieger hielten bei mir Wache, nicht etwa, weil man geglaubt hätte, daß ich fliehen könne, sondern um zu verhindern, daß sich die aufgeregte Menge schon vor dem Urteilsspruch über mich hermache.
Jede Beschäftigung war aufgegeben worden. Man dachte nur an den Mord, den Mörder und die Rache. Die ‚Alten‘ kamen zusammen; ich sah, daß sie sich niedersetzten, um über mich zu richten. Ich verlangte, zu ihnen geschafft zu werden, um mich verteidigen zu können, um zu erzählen, wie die Sache sich zugetragen hatte. Die Wächter lachten mich aus.
Die Frauen kamen herbei, verfluchten mich und ließen alle möglichen Schand- und Schimpfwörter über mich los; die Kinder warfen mit Steinen nach mir; einige, die sich ganz heranwagten, spien mich an; das wurde nicht verhindert.
Unglücklicherweise war der Vater des Ermordeten ein wohlhabender und deshalb einflußreicher Mann. Wie ich später hörte, bot er alles auf, um die Strafe, welche natürlich nur in dem Tod bestehen konnte, möglichst schwer werden zu lassen. Es wurde sehr viel gesprochen und geschrien; man hielt lange Reden, aber wohl keine einzige zu meiner Verteidigung, und endlich, als dies wohl zwei Stunden gedauert hatte, war man zum Resultate gekommen. Die Teilnehmer der Dschema standen auf und kamen herbei. Sie bildeten einen Kreis um mich, und der Scheik als der Vorsitzende machte mich mit dem Urteil bekannt:
„Das Gesetz der Wüste lautet: Blut um Blut, Leben um Leben. Du hast ein Leben vernichtet, also wird dir das deinige genommen werden. Man wird jetzt das Grab graben, und wenn das Abendgebet vorüber ist, wirst du mit dem Toten in dasselbe gelegt und begraben werden.“
„Lebendig?“ fragte ich.
„Ja.“
„Ich fordere von euch, meine Verteidigung anzuhören!“
„Du hast nichts zu fordern. Schweig' lieber, und bereite dich im stillen vor, denn es sind nur noch zwei Stunden, so wirst du über die Brücke des Todes hinab in die Hölle fahren!“
„Aber ihr wißt doch nicht einmal, wer ich bin! Man verurteilt doch keinen Menschen, ohne seinen Namen zu kennen und wer und was er ist!“
„Wir wollen nichts wissen; wir wissen, daß du der Mörder bist; das ist genug.“
Dabei blieb dieser Mann. Ich konnte sagen, was ich wollte, man verlachte mich. Jedes Wort, welches ich zu hören bekam, war Gift, und jeder Blick ein Pfeil des Hasses und der Rache. Die Alten entfernten sich und ließen mir die Gewißheit zurück, daß ich unrettbar verloren sei.
Jetzt bedauerte ich es freilich, daß ich mich nicht gewehrt hatte. Mit meinem fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen hatte ich noch ganz andere Leute von mir abgehalten, als diese Uëlad Siminscha waren! Ich sah, daß sie draußen vor den Zelten eine tiefe Grube machten – für zwei Menschen, einen toten und einen lebendigen.
Gab es denn wirklich keine Rettung? Hm! Wie oft hatte ich mich in wirklich
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