30 - Auf fremden Pfaden
schließen, während die obere Hälfte des Gesichts eine bedeutende, absichtlich verborgene Verschlagenheit verriet. Wenn dieser Mann nicht ein Armenier war, so gab es überhaupt keine Armenier!
Ein Jude überlistet zehn Christen; ein Yankee betrügt fünfzig Juden; ein Armenier aber ist hundert Yankees über: so sagt man, und ich habe gefunden, daß dies zwar übertrieben ausgedrückt ist, aber doch auf Wahrheit beruht. Man bereise den Orient mit offenen Augen, so wird man mir recht geben. Wo irgend eine Heimtücke, eine Verräterei geplant wird, da ist sicher die Habichtsnase eines Armeniers im Spiel. Wenn selbst der gewissenlose Grieche sich weigert, eine Schurkerei auszuführen, es findet sich ohne allen Zweifel ein Armenier, welcher bereit ist, den Sündenlohn zu verdienen. Sind die sogenannten Levantiner überhaupt und im allgemeinen berüchtigt, so ist unter ihnen der Armenier derjenige, der sie alle übertrifft.
Damit soll nicht etwa gesagt werden, daß dieses Urteil für jeden Armenier gelte, o nein! Ich habe ja selbst so manchen Armeni als einen braven, ehrlichen und zuverlässigen Menschen kennen gelernt. Aber wer die Verhältnisse kennt, der weiß, daß sich unter zehn Personen, die gegen Bezahlung für alles zu haben sind, wenigstens sechs oder sieben Armenier befinden. Das Betrübendste dabei ist, daß die Armenier Christen sind. Es ist mir nicht nur einmal oder mehrere Male vorgekommen, sondern sogar sehr oft, daß Mohammedaner mich nur deshalb als Christen verachten zu müssen glaubten, weil sie mit armenischen Schismatikern schlimme Erfahrungen gemacht hatten. Und hier berühre ich einen wichtigen Punkt, indem ich mit Absicht das Wort Schismatiker gebrauche, denn gerade diese sind es, auf welche ich mein Urteil angewendet wissen möchte. –
Ich habe überhaupt keine Vorliebe für den armenischen Typus, und da der Ankömmling dieses Gepräge im Superlativ besaß, fühlte ich wenig Lust, mich mit ihm in Auseinandersetzungen über uns und unsere Verhältnisse und Absichten einzulassen. Dem gesprächigen Halef aber war es unmöglich, bei jemandem zu sitzen, ohne mit ihm zu sprechen; er sah, daß uns der Fremde noch immer forschend anblickte; das mochte ihn ärgern, darum sagte er:
„Du betrachtest uns, wie ein Vogel die Würmer betrachtet, die er fressen will. Dieser mein Sihdi hier ist der berühmte Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, der alles kann, was er will, und sich vor keinem Löwen fürchtet; er ist der Stärkste unter den Starken, der Klügste unter den Klugen und hat noch keinen Gegner gesehen, der ihn zu besiegen vermochte. Ich bin der Scheik der Haddedihn, und mein Name ist Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Wenn du von meinen Taten hören willst, so gehe an die Lagerfeuer und in die Zelte aller Araber und Kurden; da wirst du erfahren, wen du vor dir hast!“
Der Orientale spricht gern blumenreich und in überschwenglichen Ausdrücken. Halef pflegte sich besonders dann gern dieser Redeweise zu bedienen, wenn von mir und ihm die Rede war. Der andere ließ ein ironisches Lächeln sehen und antwortete:
„Allah '1 Allah! Welche große Ehre ist es für mich, daß ich die Nähe so herrlicher Männer genießen darf! Ich bin ganz entzückt davon, in euerm Schatten sitzen zu können.“
„So öffne deinen Mund und sage uns, wer du bist und woher du kommst! Du hast unsere Namen auch gehört, und die Höflichkeit erfordert, nicht zu zögern, uns auch mit dem deinigen bekannt zu machen.“
„Ich komme von Diarbekr herüber und bin ein Bazirgan (Handelsmann) namens Dawuhd Soliman (David Salomo).“
„Ein Moslem?“
„Nein, sondern ein armenischer Christ; aber ich gestehe dir offen, daß mir eure Religion, der Islam, lieber ist als die meinige.“
„Pfui!“ rief ich da aus. „Nur ein Halunke kann solche Worte sprechen! Mach dich fort von uns! Ich bin auch Christ und mag von dir nichts wissen.“
„Himmel, auch ein Christ!“ antwortete er erschrocken. „Verzeihe mir, Effendi! Wir armen Händler werden unsers Glaubens wegen so oft angefochten, daß wir häufig gezwungen sind, ihn zu verleugnen.“
„Du hast das Christentum nicht nur verleugnet, sondern es unter den Islam gestellt. Beides darf ein Christ selbst in der größten Todesgefahr nicht tun. Ich verachte dich!“
„Du wirst mich nicht verachten, wenn du siehst, was ich dir verkaufen kann. Warte nur einen kleinen Augenblick!“
Er stand auf, ging zum Packpferd und kam mit einem
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