Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sämtlicher Gelehrsamkeiten; die größten Helden haben uns um Verzeihung gebeten, und die höchsten Beamten der Herrscher uns um unsere Freundschaft ersucht, – und kaum sind wir in diese Stadt der Dummheit, in diesen Aufenthalt der gehirnlosen Köpfe eingeritten, so werden wir nach dem Zindan gebracht! Ich hätte mich bis zum letzten Tropfen meines Blutes dagegen gewehrt; da aber du es für klug hieltest, ruhig zu bleiben, so habe ich mich bemeistert und die Flut meines Zorns nicht überfließen lassen; doch Allah mag dieses Serdascht aus dem Land der Lebenden streichen und den Bewohnern allen die Schnurr- und auch die Backenbärte verbrennen lassen, daß jeder, der einen solchen Serdaschti erblickt, ihm zuruft: ‚Di'eb 'alehk – Schande über dich!‘ Habe ich nicht recht, Sihdi?“
    Halef besaß ein außerordentlich empfindliches Ehrgefühl; er hielt mich für den vortrefflichsten von allen Erdenbewohnern und glaubte im stillen, daß er wenigstens ebenso vortrefflich sei wie ich; daher sein Grimm über das uns zugefügte Ungemach. Hätte ich ihm widersprochen, so wäre mir eine schier endlose Ermahnung aus seinem beredten Mund geworden; darum antwortete ich:
    „Ja, du hast recht, mein lieber Hadschi, aber du bist doch ein Anhänger des Glaubens, daß alles, was dem Menschen widerfährt, im Buch des Lebens vorausbestimmt sei; wir konnten also der Arretierung nicht entgehen; sie war uns bestimmt und so handeln wir nur nach deinem Glauben, wenn wir das, was nicht zu ändern war, nun unbesprochen hinter uns liegen lassen.“
    „Dein Wort ist wahr, Sihdi, und darum soll meine Zunge dieses Serdascht nicht mehr berühren. Mein Pferd scheint zu dürsten, und die Sonne brennt heiß. Wollen wir nicht Halt machen, um die Stunde des Mittags vorübergehen und unsere Tiere trinken zu lassen?“
    „Ich bin einverstanden. Während der Ruhe können wir versuchen, für das heutige Abendmahl einige Fische zu fangen, denn ich glaube nicht, daß uns heute eine Ghazahl (Gazelle) vor die Gewehre kommt.“
    Wir fanden bald eine schattige, für unsern Zweck passende Uferstelle und stiegen ab. Halef schnitt eine lange Rute aus dem Gebüsch, befestigte seine Ssunnara (Angel) daran und gab sich dem von ihm leidenschaftlich betriebenen Fischfang hin, bei welchem er heute Glück hatte; denn er brachte es in kurzer Zeit zu einem Vorrat, welcher mehr als ausreichend für heute abend war.
    Während wir die ausgenommenen Fische der Hitze wegen in saftige Wildkürbisblätter einschlugen, hörten wir Hufschritte, welche am Fluß aufwärts kamen, und gleich darauf bog ein Reiter, welcher ein Packpferd bei sich führte, um das vorstehende Gesträuch. Er hatte jedenfalls nicht erwartet, in dieser einsamen Gegend auf Menschen zu treffen, und schien über unseren Anblick nicht bloß betroffen, sondern sogar erschrocken zu sein. Er faßte sich aber rasch, hob die rechte Hand bis zur Höhe der Brust und grüßte:
    „Sabahüniz hajr ola – guten Tag, meine Herren! Allah schenke euch Ruhe und neue Kräfte der Glieder.“
    Wir erwiderten seinen Gruß in türkischer Sprache, deren er sich bedient hatte. Er musterte uns mit scharf forschendem Blick und fuhr dann fort:
    „Mein Herz ist über euren Anblick erfreut. Wie heißt der Ort, von welchem ihr kommt?“
    „Serdascht“, antwortete ich.
    „Und wo wollt ihr hin?“
    „Nach Arbil.“
    „Das ist ein weiter Weg, und ihr tut wohl, euch auszuruhen. Ich will nach Serdascht, woher ihr kommt, und meine Pferde sind ermüdet. Würdet ihr mir erlauben, hier bei euch abzusteigen?“
    „Jeder gute Mensch ist uns willkommen.“
    „So will ich hoffen, daß ihr mich nicht für einen schlechten haltet.“
    Er stieg vom Pferd und setzte sich zu uns. Ich hatte ihm auf seine Frage absichtlich die letztere Antwort erteilt, denn er gefiel mir nicht. Er war ein langer, hagerer, aber starkknochiger Mann, der sich wie lauschend vorübergebeugt hielt. Er trug als Kopfbedeckung nur einen Fez, welcher so weit zurückgeschoben war, daß man die schmale, sehr niedrige Stirn vollständig sehen konnte. Ein sehr dünner, fast ruppiger Bart hing über seine blutleeren Lippen herab; darüber ragte eine starkgebogene, breitflügelige Habichtsnase, zu deren beiden Seiten zwei kleine, listige Augen unter den weit und vorsichtig herabfallenden Lidern nur halb zu sehen waren. Die stark entwickelten Kauwerkzeuge und das breit vortretende Kinn ließen auf Egoismus, Rücksichtslosigkeit und überwiegend tierische Affekte

Weitere Kostenlose Bücher