30 - Auf fremden Pfaden
zurückgeblieben wäre. –
Winnetou war ebenso wie ich vollständig überzeugt, daß sich die Pa-Utes noch an der Stelle befanden, an welcher sie die Weißen überfallen hatten. Dennoch waren wir so vorsichtig, nicht die gerade Richtung einzuschlagen, denn sie wollten ja zu den Navajos, von denen wir kamen, und es war immerhin möglich, daß sie den Weg eher antraten, als wir dachten, oder auch nochmals Kundschafter ausschickten, die uns hätten sehen müssen; wir hielten uns also mehr rechts, gerade östlich, und ritten, als wir gegen Morgen des andern Tages in gleicher Höhe mit der Lagerstelle angekommen waren, noch eine Strecke weiter, um dann nach links einzubiegen und uns dem Platz von Osten anstatt von Westen her zu nähern. Es stand fest, daß die Roten aus dieser Gegend keinen Feind erwarteten. Doch mußten wir trotzdem vorsichtig sein, denn so viele Leute brauchten Fleisch, und es war anzunehmen, daß nicht wenige von ihnen irgendwo umher schwärmten.
Wir erreichten den Fluß an einer weit aufwärts gelegenen Stelle und lagerten uns in einer nahe am Wasser liegenden kleinen Lichtung, welche rings von dichtem Gebüsch umschlossen war. Nun galt es, zu erfahren, wie es mit den Pa-Utes und ihren Gefangenen stand. Das war nicht nur ein schwieriges, sondern ein sehr gefährliches Unternehmen. Ich bot mich an, es auszuführen; da aber Winnetou fest darauf bestand, selbst zu gehen, so mußte ich mich fügen. Als er sich entfernt hatte, sorgten wir zunächst dadurch für unsere Sicherheit, daß wir die Spuren, welche wir verursacht hatten, wenigstens in der Nähe verwischten.
Dann galt es, Old Cursing-Dry eine Verwarnung zu geben. Ich hatte zwar nicht wieder mit ihm sprechen wollen, aber dieser Vorsatz mußte zurücktreten, wenn es unsere Sicherheit galt. Er war uns bis hierher gefolgt, hatte sein Pferd, wie wir die unserigen, angebunden und sich dann in einiger Entfernung von uns in das Gras gelegt. Seit unserem gestrigen Aufbruch hatte keiner von uns ein Wort zu ihm gesagt; man sah ihm an, daß er im höchsten Grad gegen uns erbittert war, und so lag der Gedanke, daß er auf Rache sinne, gar nicht fern. Hätten nicht sein Sohn und sein Neffe sich unter den Gefangenen befunden, so wäre ich geneigt gewesen, ihm die Absicht zuzutrauen, uns an die Indsmen zu verraten. Ganz sicher waren wir seiner auf keinen Fall; wer konnte wissen, mit welchen Gedanken und Berechnungen er sich beschäftigte. Aus diesem Grund hielt ich es für geraten, mein Schweigen zu brechen. Ich mußte selbst mit ihm reden, denn meine Worte machten jedenfalls mehr Eindruck auf ihn, als wenn ich ihm das, was er hören sollte, durch Dick Hammerdull oder Pitt Holbers hätte sagen lassen. Ich ging also zu ihm hin und fragte:
„Ihr seid uns seit gestern bis hierher gefolgt, Mr. Fletcher, ohne daß wir Euch dazu aufgefordert haben. Es scheint, daß Ihr Euch auch ferner uns anschließen wollt. Wie steht es damit?“
„Das geht Euch den Teufel an!“ antwortete er.
„Ich denke, daß es uns sehr viel angeht, und ersuche Euch, Sir, einen anderen Ton gegen mich anzuschlagen. Ich bin nicht gewöhnt, Grobheiten anzuhören, ohne in geeigneter Weise darauf zu antworten! Ihr habt gesehen und gehört, daß wir nichts von Euch wissen wollen; wenn Ihr uns trotzdem nachgeritten seid und Euch hier zu uns lagert, können wir dies nur in dem Fall dulden, daß Ihr uns nach unserer Überzeugung keinen Schaden macht.“
„Schaden?“ grinste er mich an. „Pshaw! An Euch gibt es nichts mehr zu verschlechtern und zu schädigen!“
Kaum hatte er das gesagt, so riß ich einen fingerdicken Zweig vom nächsten Busch, zog ihn durch die linke Hand, um die Blätter zu entfernen, und versetzte ihm mehrere scharfe Hiebe quer über das Gesicht.
„So! Wer nicht hören will, der mag fühlen. Ich werde Euch lehren, höflich zu sein!“
Er stieß einen unartikulierten Schrei der Wut aus, sprang auf und riß den Revolver heraus, um ihn auf mich anzuschlagen; aber noch ehe er den Lauf auf mich richten konnte, traf ihn mein Hieb so auf den Arm, daß er die Waffe fallen ließ; dann schlug ich ihm die Faust gegen die Schläfe, daß er wie ein lebloser Klotz lang und steif zu Boden stürzte. Im Nu stand der dicke Hammerdull neben mir und sagte, indem sein Gesicht vor Entzücken glänzte:
„Heigh-day! Endlich, endlich sieht man wieder einmal diesen famosen Hieb von Euch! Thank you, Sir! Der Kerl hat es genau so und nicht anders verdient. Sollen wir ihn ein wenig fesseln, daß
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