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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wöchentlich einen Mariatheresientaler; er bekam also nach deutschem Gelde täglich ungefähr 50 Pfennige. Der sehr reiche Handelsherr antwortete:
    „Allah gibt, und Allah nimmt; die Menschen können nicht alle gleich wohlhabend sein.“
    „Du hast recht“, nickte Kamil, „und weil mein Sihdi der Liebling Allahs ist, hat er viel von ihm bekommen. Ahnst du vielleicht, wie berühmt der Name Hadschi Kara Ben Nemsi in allen Ländern und bei allen Völkern der Erde ist? – Er spricht alle viertausendundfünfzig Sprachen der menschlichen Zunge, kennt die Namen aller achtzigtausend Tiere und Pflanzen, heilt alle zehntausend Krankheiten und schießt den Löwen mit einer einzigen Kugel tot. Seine Mutter war die schönste Frau der Welt; die Mutter seines Vaters wurde der Inbegriff der Tugenden genannt, und die sechsunddreißig Frauen, welche er besitzt, sind folgsam, lieblich und nach Ambra duftend wie die Blumen des Paradieses. Er hat die Heere aller Helden besiegt; vor seiner Stimme zittert sogar der schwarze Panther, und wenn, um uns zu überfallen, die räuberischen Tuareg kämen, in deren Gebiet wir uns leider jetzt befinden, so genügte allein seine kleine Flinte, sie in die Flucht zu treiben. Blicke hin zu ihm! Siehst du, daß er zwei Gewehre hat, ein großes und ein kleines? Mit dem großen schießt er eine ganze Khala (Festung) über den Haufen, und mit dem kleinen kann er hunderttausendmal schießen, ohne zu laden; darum wird es eine Bundukije et tikrar (‚Flinte der Wiederholung‘ = Repetiergewehr) genannt. Fast wünsche ich, daß diese Halunken kämen; dann solltet Ihr sehen – – –“
    „Sei still, um Allahs willen!“ unterbrach ihn da der Schech el Dschemahli (Anführer der Karawane) rasch. „Wenn du diese Mörder herbeiwünschst, so kann es dem Scheïtan (Teufel) leicht einfallen, sie wirklich herbeizuführen, und dann wären wir verloren!“
    „Verloren? Wenn mein Sihdi hier ist und auch ich bei Euch bin?“ Er hätte in diesem Tone wohl weitergesprochen; da aber deutete der Schech el Dschemahli auf die Sonne und sagte:
    „Seht, ihr Männer, daß die Sonne den Horizont berührt! Das ist die Stunde des Abendgebetes. Gebt Allah Preis, Lob und Ehre!“
    Sie sprangen alle auf, tauchten ihre Hände in das Wasser, knieten dann, mit dem Gesicht nach der Richtung von Mekka gewandt, nieder und beteten unter den vorgeschriebenen Verbeugungen und Handbewegungen dem alten Schech die heilige Fatcha nach.
    Auch ich kniete währenddem im Sand und verrichtete mein christliches Abendgebet, natürlich ohne ihre Bewegungen nachzuahmen, denn ich hatte ihnen nicht verschwiegen, daß ich kein Mohammedaner sei. Ich war gestern, gleich nachdem ich mit meinem Kamel ihre Handelskarawane eingeholt hatte, so aufrichtig gewesen, ihnen das zu sagen, und sie hatten das nicht für einen Grund genommen, mir die Erlaubnis, mich ihnen anzuschließen, zu verweigern.
    Als das Gebet zu Ende war und wir uns von den Knien erhoben hatten, sahen wir von Norden her einen einzelnen Kamelreiter kommen. Sein Hedschihn (Reitkamel) war ein vorzüglicher Schnelläufer, und seine Waffen bestanden aus einer langen, arabischen Flinte und zwei Messern, die er an Armbändern an seinen Handgelenken hängen hatte. Diese Art, die Messer zu tragen, ist für den Gegner sehr gefährlich: man umarmt ihn und sticht ihm dabei die beiden Klingen von hinten in den Rücken.
    „Sallam!“ grüßte er, bei uns angekommen, indem er, ohne sein Kamel niederknien zu lassen, aus dem Sattel sprang. „Erlaubt mir, hier mein Hedschihn zu tränken und euch vor den Feinden zu warnen, denen ihr entgegengeht?“
    Er war in einen langen, weißen Burnus gehüllt, unter dessen Kapuze sein dunkles, stark eingefettetes Haar hervorquoll. Groß und kräftig gebaut, hatte er ein ovales, volles Gesicht mit einer Abplattung in der Gegend der Backenknochen, eine kurze, fast stumpfe Nase, kleine Augen und ein rundes Kinn. Hätte er das Litham getragen, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei läßt, so wäre ich überzeugt gewesen, einen Targi (Einzahl von Tuareg) vor mir zu haben.
    „Du bist uns willkommen“, antwortete der alte Schech, als das Tier des Ankömmlings von selbst zum Wasser lief, um zu trinken. „Wen aber meinst du, indem du von Feinden redest?“
    „Die Imoscharh“, antwortete der Gefragte.
    Dieses Wort ist gleichbedeutend mit Tuareg. Des letzteren Wortes bedienen sich nur die Araber, während die Angehörigen des betreffenden räuberischen Volkes sich

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