30 - Auf fremden Pfaden
Wüste blieb uns zur linken Hand liegen; rechts aber wuchsen nach und nach immer höher werdende, sonderbare Felsengebilde empor, welche bald buchtförmig und bald vorgebirgsartig sich aneinander schlossen und, da wir uns ihnen nicht weit genug näherten, uns in Zweifel ließen, ob sie ganz aus Naturformationen bestanden oder ihre Bildung teilweise auch menschlichen Händen zu verdanken hatten. Es gab da Mauern, Säulen, Zinnen und Erker, Fensteröffnungen, große, bogenförmige Toreingänge wie zu künstlichen Gängen und Hallen. Ein Anblick, der mein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Gern wäre ich weiter geritten; aber ich wollte mich von der Karawane nicht lange und weit entfernen, weil mir ahnte, daß wir uns bald da befanden, wohin der Khabir uns haben wollte.
Wir ritten Stunde um Stunde, und die fremdartigen Felsen begleiteten uns fort und fort zur rechten Hand; sie wollten kein Ende nehmen. Eine Stunde vor Mittag war die Hitze so groß geworden, daß Menschen und Tiere nach Ruhe lechzten. Da schoben sich die Felsen so weit vor, daß wir ihren weitesten Ausläufer berührten. Die Spitze desselben war ausgebuchtet und bildete eine hufeisenförmige Rundung, welche von allen Mitgliedern der Karawane außer mir als außerordentlich geeignet zum Lagern gehalten wurde. Die Reiter stiegen ab und befreiten die Packkamele von ihren Lasten. Ich freilich konnte zu diesem Ort kein Vertrauen haben, denn falls hier ein Überfall beabsichtigt war, so brauchten die Angreifer nur die Öffnung des Hufeisens zu verschließen; dann waren alle, die sich im Innern der Bucht befanden, in ihre Hände gegeben. Ich sagte aber nichts, denn ich wußte, daß doch niemand auf mich hören würde.
Als alle lagerten, trieb mich die Vorsicht eine Strecke hinaus in die Wüste, von wo ich, zurückgewendet, die Felsenumgebung des Lagerplatzes überblicken konnte. Es fiel mir auch sofort etwas auf. Nördlich von uns, vielleicht eine gute Gehviertelstunde entfernt, schwebten mehrere Nusara es sahra (Wüstengeier) über den Felsen, welche abwechselnd auf und nieder gingen, sich aber nicht entfernten. Ich kehrte schnell in das Lager zurück und ging zu dem Khabir, neben dem soeben der Tedetu stand.
„Wir müssen fort von hier“, sagte ich. „Die Tuareg halten gar nicht weit von hier, um uns zu überfallen!“
„Wer hat dir das gesagt?“
„Die Geier, welche über ihnen schweben.“
„Können Geier sprechen?“ fragte er höhnisch.
„Für mich ja, denn ich verstehe ihre Sprache.“
„Ich werde dich beruhigen. Ich bin der Khabir und habe für die Sicherheit der Kaffilah zu sorgen; ich werde gehen und nach den Feinden suchen, die du dir einbildest. Komm mit!“
Das war sehr pfiffig von ihm, denn wenn ich mitging, fiel ich noch vor den andern in die Hände der Tuareg. Ich setzte List gegen List und antwortete:
„Das ist Sache der Anführer. Der Tedetu mag dich begleiten; er ist ein berühmter Wüstenkrieger, ich aber bin hier fremd; seinem scharfen Auge kann man Glauben und Vertrauen schenken und er wird mir bei eurer Rückkehr sagen, ob ich recht oder unrecht gehabt habe.“
Ich erreichte meinen Zweck; der Tedetu erklärte sich bereit dazu, und dem Khabir schien es gleich zu sein, wer der erste war, der in die Hände der Tuareg fiel, der Anführer der Tibbu oder ich. Sie entfernten sich miteinander, um zu rekognoszieren. Das Resultat wußte ich im voraus: Der Tedetu wurde ergriffen, und dann kamen die Tuareg, um das Lager zu überfallen.
Ich ging nun zu Abram Ben Sakir, um ihn zu warnen und ihn aufzufordern, den gefährlichen Platz mit mir zu verlassen. Es war vergeblich; er schenkte mir keinen Glauben, sondern lachte über meine Besorgnis. Ich gab es also auf, die kostbare Zeit an ihn zu verschwenden, ließ ihn also sitzen und war nur auf mich, auf Kamil und auf einen dritten bedacht, nämlich auf den Insassen des Tachterwahn, denn wenn mich meine Ahnung nicht betrog, so hatte der Knabe, falls es einer war, bei der Befreiung des Kaufmanns eine Rolle zu spielen.
3. Isa Ben Marryam akbar
Die Tibbu hatten den Tachterwahn vom Kamel genommen und an den Felsen gestellt, wo zufälligerweise ein tiefer Riß, der bis zur Erde niederreichte, in das Gestein einschnitt. Tierspuren, welche ich gleich mit dem ersten Blicke bemerkte, bewiesen mir, daß dieser Riß gangbar sei. Ich durfte mich der Sänfte nicht nähern; sie wurde streng bewacht; das, was ich tun wollte, mußte heimlich geschehen. Ich verließ also das Lager, wandte mich nach
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