30 - Auf fremden Pfaden
Getöse des Kampfes hinter uns erscholl.
Wir nahmen keineswegs denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, denn da hätte man uns gesehen, sondern wir folgten der vorgestreckten Felsenspitze nach den Bergen hin und wandten, als wir sie erreicht hatten, uns an ihrem Fuß wohl zwei volle Stunden lang hin, bis wir eine Stelle erreichten, welche mir für meine Zwecke passend erschien. Es gab da eine natürliche Rampe, welche zwar schmal, aber so allmählich zur Höhe führte, daß sie von unseren Kamelen passiert werden konnte. Sie führte uns nach oben auf eine Felsenbastei, von der ich zu meiner Freude nach schneller Untersuchung erkannte, daß sie weder von einer andern Höhe beherrscht wurde, noch auf einem anderen Weg, als der eben erwähnten Rampe aus, betreten werden konnte. Hier waren wir sicher, denn wir hätten uns hier gegen eine ganze Schar von Feinden leicht verteidigen können, gar nicht gerechnet, daß wir in dem Knaben eine Geisel besaßen, durch welche wir uns alles erzwingen konnten, was wir wollten. Es gab sogar einen, wenn auch spärlichen Pflanzenwuchs für die Kamele, welche sich auch gleich darüber hermachten.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Knaben zu, der auf einem Stein saß und mich halb ängstlich, halb vertrauend anblickte. Es war ein hübscher, dunkler Junge mit Glutaugen, deren Glanz allerdings jetzt vor Durst, Hunger, Angst und Leid erblichen war.
„Sprichst du arabisch?“ fragte ich ihn.
„Targhia und arabisch“, antwortete er zu meiner Freude, und man darf sich darüber, daß er sich in zwei Sprachen, allerdings in nur kindlicher Weise, ausdrücken konnte, nicht wundern, weil in jenen südlichen Gegenden der Mensch sich weit schneller entwickelt als bei uns.
„Wie nennt man dich?“ forschte ich weiter.
„Khaloba.“
„Wer ist dein Vater?“
„Rhagata, der oberste Scheik der Kelowi.“
So hatte meine Ahnung mich also nicht getäuscht; er war der Häuptlingssohn der Tuareg, welche uns überfallen hatten. Ich erfuhr von ihm, wie er in die Hände der Tibbu geraten war. Als sein Vater mit den Kriegern fortgeritten war, hatte sich ein, natürlich angeblicher, Haussa eingestellt und um Gastfreundschaft gebeten; man hatte sie ihm gewährt; aber des Nachts, als alles schlief, hatte er sich des Knaben bemächtigt und ihn weit, weit fortgeschafft bis zu der Stelle, wo neunzehn andere Männer mit einem Tachterwahn gewartet hatten. Dieser Knabenräuber war der Anführer der Tibbu, der nicht bloß mit dem Kelowi-Tuareg in Todfeindschaft, sondern außerdem mit ihrem Scheik in Blutrache stand und darum den allerdings höchst verwegenen Coup ausgeführt hatte, sich des einzigen Sohnes seines Blutfeindes zu bemächtigen und ihm dadurch den allerschmerzlichsten Schlag zuzufügen. Der Kleine fragte mich, ob ich ihn zu seinem Vater zurückbringen wolle, und ich antwortete ihm, daß ich das allerdings und sehr gern tun würde. Mein Plan war folgender: Ich nahm mit Sicherheit an, daß die Tuareg in unserem Lager geblieben seien, und wollte heute abend hin, um ihrem Anführer zu sagen, daß sein Sohn in meiner Gewalt, ich aber bereit sei, ihn gegen den Kaufmann Abram Ben Sakir, seine Leute und alles, was ihm gehörte, umzutauschen. Ich war überzeugt, daß er, wenn auch nach einigem Zögern, darauf eingehen würde. Kamil sollte indessen den Knaben hier bewachen, den ich nicht eher auszuliefern beabsichtigte, als bis meine Bedingungen erfüllt wären und mir außerdem die Gewißheit zugesprochen worden sei, daß man mich und Kamil als freie Männer und Freunde des Stammes betrachten und behandeln werde.
Nachdem wir ein sehr frugales Mahl zu uns genommen hatten, legte ich mich schlafen. Kamil mußte wachen und mich bei Einbruch der Dämmerung wecken. Ich bestieg mein Kamel und ritt fort, nachdem ich dem Hasenfuß auf das dringlichste eingeschärft hatte, ja recht kühn und verwegen in seinem Winkel auszuharren.
Der abendliche Ritt ging ohne ein störendes Ereignis vor sich, bis ich mein Ziel erreichte. Um das Feuer saßen die Sieger, gegen achtzig Tuareg, und in der Nähe lagen die gefesselten Gefangenen, unter denen sich, wie sich später zu meiner Freude bemerkte, auch der unverletzte Kaufmann Abram Ben Sakir aus Mursuk befand. Ich ging furchtlos auf das Feuer zu, ohne die große Aufregung zu beachten, welche mein unerwartetes und freiwilliges Erscheinen hervorbrachte. Die Gefangenen riefen einander vor Erstaunen zu. Am Feuer sprang einer auf und schrie:
„Das ist Kara Ben Nemsi,
Weitere Kostenlose Bücher