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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Magarat ess ßuchur ihr Wesen treiben sollten; dabei verging die Zeit, und es wurde Mitternacht, als die Sterne am hellsten leuchteten und ich die Entfernung absichtlich kürzte, welche uns bisher von der Kaffilah getrennt hatte. Ich wollte jetzt zeigen, daß es nicht meine Absicht sei, immer hinter der Karawane herzureiten. Wir trieben unsere Tiere an und erreichten bald die hintersten Kamele. An der langen Reihe derselben vorüberreitend, kamen wir an den Tibbu vorbei, die uns zornige Rufe zuwarfen. Der Tedetu hörte die schnellen Schritte unserer Kamele und drehte sich um. Er sah uns kommen und rief uns in befehlendem Tone zu:
    „Zurück mit euch!“
    Wir gehorchten nicht.
    „Zurück, zurück“, wiederholte er, „sonst zeige ich euch, wohin ihr gehört!“
    Er hatte die Drohung noch nicht ganz ausgesprochen, so hatten wir ihn schon hinter uns und waren auch an dem Khabir und dem Schech el Dschemahli vorübergeschossen. Einige Augenblicke später krachte es hinter uns, und ich fühlte den Luftdruck einer an meinem Kopf vorbeifliegenden Kugel. Sofort hielt ich mein Hedschihn an, und Kamil tat dasselbe mit dem seinigen. Wir warteten, bis die Spitze des Zuges uns einholte.
    „Wer hat auf mich geschossen?“ fragte ich.
    „Ich“, antwortete der Tedetu. „Wenn Ihr nicht augenblicklich zurückweicht, bekommst du die zweite Kugel!“
    „Die mich ebensowenig treffen wird, wie die erste. Du kannst nicht schießen; ich werde dir zeigen, wie man es machen muß. Kamil, steig von deinem Tier!“
    Er sprang herunter. Der Tedetu war mir jetzt bis auf einen Schritt seines Kamels nahe gekommen, an dessen Sattelknopf die beiden Wurflanzen hingen. Ich streckte den Arm aus und griff nach ihnen.
    „Hund, was willst du mit meinen Lanzen!“ schrie er mich an.
    „Dir zeigen, wie man schießen muß. Paß auf!“
    Ich gab Kamil die eine Lanze; er mußte sich so weit entfernen, bis ich halt sagte, und sie dann emporhalten. Dann zog ich die beiden Revolver und gab alle zwölf Schüsse auf die Lanze ab, die Kamil nun dem Tedetu bringen mußte.
    „Schau sie an!“ forderte ich diesen auf. „Zwölf Schüsse und zwölf Löcher.“
    Er betrachtete den Schaft und brachte vor Erstaunen kein Wort hervor. Der Zug war natürlich halten geblieben. Jetzt mußte Kamil die zweite Lanze so weit von mir in den Sand stecken, daß ich sie im Sternenschein eben noch sehen konnte. Mein Kamel stand unbeweglich; es war das Schießen gewohnt; ich brauchte nicht abzusteigen.
    „Zähle die Schüsse!“ gebot ich dem Tedetu und legte den Henrystutzen an, welcher fünfundzwanzig Schüsse hatte. Ich zielte sehr sorgfältig und gab einen Schuß immer ein wenig höher als den andern.
    „Wieviel Schüsse?“ fragte ich.
    „Fünfzehn“, antwortete der Tedetu, der sich nicht erklären konnte, daß ich sovielmal hatte schießen können, ohne zu laden.
    „Schau nun die Lanze an!“
    Sie wurde ihm gebracht. Er fühlte mit den Fingern nach den Löchern und zählte sie.
    „Maschallah! Fünfzehn Löcher!“ rief er geradezu erschrocken aus. „Dieser Christ ist ein Sahir (Zauberer), und seine Flinte ist eine Bundukije el mogiza (Wunderflinte). Sie hat Kugeln ohne Zahl in ihrem Lauf!“
    „Du hast recht gesprochen“, stimmte ich bei. „Und soviel mal ich schießen kann und so sicher treffe, so weit gehen meine Kugeln auch. Was sind all eure Waffen gegen diese meine Gewehre! Du hast mir nach dem Leben getrachtet und nach mir geschossen; ich will dir dieses Mal verzeihen, weil ich ein Christ bin, der selbst seinem Feind Gutes erweist; aber wagst du es ein zweites Mal, mir Böses zu tun, so eröffne ich dir und den Deinen in zwei, drei Augenblicken die Pforte zur Brücke des Todes, und kein Prophet und kein Kalif wird euch das Leben retten können. Ich bin Kara Ben Nemsi, ein Christ, und du sollst mich kennen lernen!“
    Er antwortete mit keiner Silbe; tiefes Schweigen beobachteten auch die andern; auf meinen Wink bestieg Kamil sein Tier wieder, und wir ritten weit voran, ohne daß uns jemand wieder zu hindern wagte. Natürlich lud ich die Revolver sofort wieder und ergänzte auch die fünfzehn Patronen des Repetierstutzens. Von jetzt an ritten wir, wie es uns beliebte, bald voran, bald seitwärts, bald hintendrein, doch immer so, daß uns keine hinterlistige Kugel in den Rücken kommen konnte. Bis zum Morgengebet ging es durch sandige Wüste; dann wurde halt gemacht. Als wir nach zwei Stunden der Ruhe wieder aufgebrochen waren, veränderte sich das Terrain. Die

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