30 - Auf fremden Pfaden
sich?“
„Mitten im Sand des Verderbens. Der Sturm der Wüste hat ihn in er Raml el Halahk getrieben, aus welchem kein Allah und kein Prophet ihn retten kann.“
„Und da soll ich ihn retten können, ich, der Giaur?“
„Ja, nur du, nur du allein! Ihr Christen wißt alles; ihr kennt alle Höhen und Tiefen der Möglichkeit; eure Augen erblicken das Unsichtbare, und von euren Händen kann nichts verschwinden, was sie halten wollen.“
Sprach er die Wahrheit, oder log er, um mich ins Garn zu locken? Ich sah ihn forschend an. Nein, dieses Gesicht konnte nicht lügen. Die Todesangst, welche in demselben lag, war nicht gemacht. Da gab es kein Mißtrauen und kein Zaudern. Ich stieg auf mein Kamel. Zwar wollte das Mißtrauen mir wieder und wieder aufsteigen; aber „en' taijib, en' taijib – du bist gut, du bist gut“, so klang die Stimme des Knaben noch lauter als die Stimme des Zweifels und Verdachtes in meinem Herzen und wir flogen vorwärts, der Rettung des Verunglückten oder – dem neuen Verderben entgegen. Bald erreichten wir die Stelle, wo die Felsen auseinandertraten. Da hielten die Tuareg. Ihre Kamele lagen im Sand, mit den Köpfen alle nach uns gewendet und der Gefahr, die sie kannten, die Rücken zugekehrt. Der erste Blick zeigte mir die ganze Lage.
Vor mir sah ich die Ränder einer fast zirkelrunden, riesigen Felsenschüssel, deren Durchmesser ungefähr zwei Kilometer betrug; ihre Tiefe war natürlich unbekannt, mußte aber sehr bedeutend sein, denn die Steinränder fielen fast genau senkrecht ab. Welche Flüssigkeit diese Schüssel enthielt, war jetzt nicht zu sagen; ihr Inhalt schien aus einem nassen, außerordentlich feinen und leichten Sand zu bestehen, der keine Last zu tragen vermochte, wenigstens nicht den Fuß eines Menschen oder eines Tieres. Man denke sich, daß dieses Riesengefäß erst nur Wasser oder sonstige Flüssigkeit enthalten hatte. Dann war der Sand von den Wüstenstürmen herbeigetrieben worden. Der schwere, also untere Teil einer solchen Sandsturmmauer, wie die heutige, war von den hohen Felsenrändern abgehalten worden; der hoch oben in den Lüften fliegende, leichte, feine, fast unwägbare Staub aber war über sie hereingedrungen und auf die Flüssigkeit niedergesunken, ohne unterzugehen, weil er nicht schwerer war als sie. So dachte ich mir das Entstehen dieses Sandsees, und ich glaube nicht, daß ich mich dabei irrte. Wehe dem, der hineingeriet! Ich sah, wohl vierzig Ellen vom ‚Ufer des Verderbens‘ entfernt, den Tachterwahn auf diesem Abgrund des Todes liegen, eine Folge seiner leichten Bauart, der dünnen Stoffe, aus denen er bestand, und der langen phantastisch bewimpelten Stangen, die zu beiden Seiten weit hinausragten, ihn trugen und so verhinderten, daß er unterging. Drin saß Khaloba, der Tuaregknabe. Er war so klug, sich nicht zu bewegen, rief aber unausgesetzt um Hilfe. Kaum erblickte er mich, so jammerte er mir zu: „Ta' al, ta' al, ja Sidhi! Hallisni min el mot; meded, meded – komm, komm, o Sihdi! Rette mich vom Tod; zu Hilfe, zu Hilfe!“
„Ich komme; ich komme!“ antwortete ich, indem ich aus dem Sattel sprang. „Halte dich nur ruhig, damit du das Gleichgewicht nicht verlierst!“
Die Tuareg standen stumm. Sie hielten ihre Augen erwartungsvoll auf mich gerichtet, finstre Augen zwar, in denen aber jetzt nichts von Haß und Rachgier zu sehen war. Ihr Anführer hatte sich auch vom Kamel geschwungen. Als er meine Worte hörte, faßte er meine beiden Hände und rief entzückt aus:
„Du willst zu ihm, du willst? Du hältst es also für möglich, ihn zu retten?“
„Bei Gott ist alles möglich“, antwortete ich. „Die Gefahr ist allerdings groß; aber wenn der Allmächtige mir beisteht, bringe ich dir deinen Sohn herüber; sollte es jedoch in seinem Ratschluß anders beschlossen sein, so werde ich mit dem Knaben untergehen.“
„Du wirst nicht untergehen, sondern Khaloba retten; Allah ist allmächtig, und Mohammed ist groß. Betet das, ihr Männer, betet das mit mir!“
Dieser Aufforderung Folge leistend, wandten sich die Tuareg gegen Osten, erhoben ihre Hände und riefen dreimal:
„Allah '1 khudra al ilahija we Mohammed kebir – Allah ist die Allmacht, und Mohammed ist groß!“
Ich hatte nichts, gar nichts zu sagen und die Gefahr, in welcher der Knabe schwebte, zu nichts ausnützen wollen; aber Mohammed anrufen und als groß preisen lassen, das fiel mir auch nicht ein; darum wandte ich mich, als die Tuareg nun schwiegen, mit lauter
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