30 - Auf fremden Pfaden
Gleichgewicht zu halten.
Dennoch ging die Fahrt zurück viel langsamer als meine Herfahrt, und wir brauchten die Zeit von drei Viertelstunden, ehe mein Floß das Ufer erreichte. Der Vater riß den Knaben an sein Herz; die Tuareg jubelten überlaut; ich aber ging so still zur Seite und faltete die Hände; ich hatte nicht mit ihnen, sondern mit Einem, dem Einzigen, dem Allbarmherzigen zu sprechen, dem ich die Erlösung aus dem entsetzlichen Schlund des Verderbens verdankte, dessen Gefährlichkeit mir erst jetzt, da ich ihm entronnen war, richtig und voll zum Bewußtsein kam. Da hörte ich hinter mir die Stimme des Scheiks:
„Er betet. Er ist ein Christ und gibt Allah zuerst die Ehre; wir aber schreien wie die Wahnsinnigen und denken nicht an den Herrn der Allmacht, der die Errettung sandte. Ist er nicht frömmer, als wir sind? Laßt ihn uns erfreuen, indem wir seinem großen Mu'awin danken!“
Und dreimal erscholl es laut aus achtzig Kehlen:
„Isa Ben Marryam akbar!“
Dann kam er zu mir, umarmte und küßte mich und sagte:
„Sihdi, wir haben viel an dir verbrochen; sage mir, wie wir es sühnen können! Wir werden es tun. Verlange meine beste Stute, meine zehn besten Kamele; verlange, was du willst; du sollst alles, alles haben!“
Mir seine beste Stute anzubieten, das war eine wirklich großartige Dankbarkeit! Alle lauschten, was ich verlangen würde.
„Ja, ich werde etwas von dir erbitten“, antwortete ich, „und wenn du mir das gewährst, wirst du meinen Dank und Allahs Wohlgefallen haben!“
„Sag, was es ist!“
„Verdamme niemals wieder einen Christen! Glaube mir, der Himmel steht uns weiter offen als euch! Mohammed hat euch den Haß und die Rache, Isa uns aber die Liebe und die Versöhnung gebracht. Jener war ein Mensch und Sünder so wie wir, dieser aber wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ihr watet in Blut und vernichtet um eines Wortes willen eure eigenen Brüder; wir aber lieben selbst unsere Feinde und wagen unser Leben für die, welche nach dem unserigen trachten. Kein Moslem, kein Freund, kein Verwandter, nicht einmal sein eigener Vater wollte es wagen, deinen Sohn zu retten; der Feind, der Christ, war sofort bereit dazu, obgleich du ihn beleidigt, bedroht und verflucht hattest. Denke nach; denke an dein eigenes Beispiel, an das, was du heute erlebtest! Der Glaube der Christen muß doch ein besserer, ein schönerer sein als der, den Mohammed euch brachte. Wir nennen Mohammed den Nebi kadib, den falschen Propheten; ich kann nicht verlangen, daß du von ihm auch so denkst, aber ich bitte dich, wenigstens nicht mehr zu glauben, daß ein Moslem hoch über einem Christen stehe. Die Liebe ist das Erkennungszeichen des allein wahren Glaubens; wer sie besitzt und übt, der ist weit sicherer Gottes Kind als der, dessen Herz im Haß und in der Rache lebt!“
Er sah lange still vor sich nieder, reichte mir dann die Hand und sagte:
„Deine Worte sind wie Perlen, die ich nie gekannt habe und nun plötzlich finde; ich will sie in meinem Herzen aufbewahren; vielleicht werde ich dadurch reich. Ich sagte dir, du seist der erste Christ, der mich besiegt habe, und sollest der einzige und letzte sein, dem dies gelungen sei. Jetzt hast du mich abermals besiegt, erst durch die Waffen, jetzt durch die Versöhnung. Ich danke dir für diese Niederlage, denn sie demütigt mich nicht und gibt mir einen Freund. Willst du mein Freund, mein Bruder sein, hochgeehrt von meinem ganzen Stamm und hochwillkommen in allen unsern Häusern, Hütten und Zelten?“
„Ja, ich will, sehr gern.“
„So wollen wir diesen Ort des Verderbens verlassen und zu Abram Ben Sakir zurückkehren, um dort Lager zu machen und nach den Gesetzen der Wüste Blutsbruderschaft zu schließen. Dein Gebet, ‚Isa Ben Marryam akbar‘ hat meinen Sohn vom Tod errettet; dein Freund ist mein Freund, und mein Feind sei auch dein Feind; du hast mein Herz, und ich habe das deinige, denn du hast mir die Liebe anstatt der Rache gebracht. Allah jubarik fik – Gott segne dich!“ – – –
Blutrache
1. In Basra
Jeder meiner Leser kennt meinen wackeren, kleinen Diener Hadschi Halef Omar, den treuesten und opferwilligsten Untergebenen, den ich jemals gehabt habe. Obgleich ich sein ‚Herr und Gebieter‘ war, nannte er sich andern gegenüber doch stets meinen ‚Freund und Beschützer‘, und ich habe dies dem spaßigen Hadschi nie verwiesen, denn ich sah über seine kleinen Schwächen wegen seiner sonstigen guten Eigenschaften gern hinweg. Nach
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