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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stimme, so daß alle es hörten, zu dem Scheik:
    „Mohammed kebir? Er ist groß? So bin ich also umsonst herbeigekommen? Wohlan, so wollen wir warten und zusehen, wie Mohammed deinen Knaben herüberholen wird!“
    Ich setzte mich, als ob uns gar nichts dränge, gemächlich wieder in den weichen, tiefen Sand. Da ergriff er mich bei der Schulter, um mich aufzuziehen und schrie:
    „Ne'uhzu billa! Um Gottes willen, was tust du da! Du setzt dich nieder und hast doch vorhin selbst gesagt, daß kein Augenblick zu verlieren sei!“
    „Das ist auch jetzt noch meine Meinung, und ich hoffe, daß Mohammed, dessen Hilfe ihr angerufen habt, nicht anders denkt; er mag sich beeilen, sonst ist dein Sohn verloren! Was ich vermag, das vermag ich nur als Werkzeug eines Höhern, und dieser Höhere heißt nicht Mohammed, sondern Isa Ben Marryam.“
    „So sei barmherzig, und rette meinen Sohn im Namen dieses deines Isa Ben Marryam!“
    „Nachdem ihr Mohammed angerufen habt? Nein! Soll en Nisr (Adler) sich herniedersenken, wenn el Aßfur (Sperling) gerufen worden ist? Da draußen schwebt ein junger Anhänger Mohammeds über dem Rachen des Todes, und hier stehen achtzig Moslemin, denen kein Prophet die Kraft und den Mut gibt, ihn zu retten, während ein einzelner Christ im Vertrauen auf Isa Ben Marryam das grauenvolle Werk wagen will. Und da fragst du noch, wer mächtiger und größer sei, Isa oder Mohammed? Du scheinst die Lehren eures Propheten nicht zu kennen. Hat er nicht gesagt, daß Isa Ben Marryam am Ende der Tage herniederkommen werde auf die Moschee der Ommajjaden in Damaskus, um zu richten alle Lebendigen und alle Toten? Ist da nicht Seligkeit und Verdammnis in die Hand meines Isa gelegt? Nenne mir dagegen die Macht, die eurem Mohammed gegeben ist! Keine!“
    „Sihdi, wie quälst du mich! Du streitest über den Glauben und dort schwebt mein Sohn – o Allah, Allah, Allah! Siehst du nicht, daß der Tachterwahn wankt, daß er umstürzen und versinken wird!“
    Er rief diese Worte nicht, sondern er brüllte sie in der größten Angst. Der Knabe sah, daß ich mich niedergesetzt hatte; er schrie lauter als vorher um Hilfe und bog sich dabei so weit aus der Sänfte heraus, daß sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Die Tuareg fielen alle in den Schreckensruf des Vaters ein, welcher mich jetzt bei den Schultern nahm und mich anflehte:
    „Steh auf; steh auf, und hilf, Sihdi! Wenn du den Sohn unseres Stammes rettest, werden wir Isa Ben Marryam die Ehre geben!“
    „Ruft ihn an, so wird er helfen!“
    „Wie sollen wir rufen?“
    „Habt ihr vorhin gesagt: Mohammed kebir (ist groß), so ruft jetzt dreimal: Isa Ben Marryam akbar (ist größer)!“
    Da wandte er sich an seine Leute:
    „Ihr habt gehört, was dieser Sihdi von uns fordert. Mohammed hat selbst gesagt, daß Isa Ben Marryam alle Lebendigen und alle Toten richten werde; er ist also der Herr des Gerichtes und des ewigen Lebens. Stimmt mit mir dreimal ein in den Ruf: Isa Ben Marryam akbar!“
    Ich hatte viel, ja mehr als zu viel verlangt; aber die Angst um den Knaben erfüllte alle Anwesenden, und so erhoben sie wie vorhin die Hände, und es erklang dreimal der Ruf im Chor, der noch bei keinem von ihnen über die Lippen gekommen war. Nun erst stand ich auf und sagte:
    „Keine Stange reicht bis hin, und kein Strick kann bis dorthin geworfen werden; ich muß mir ein Kellek (Floß) bauen, welches mich hintragen wird.“
    „Ein Kellek? Woraus?“ fragte der Scheik erstaunt.
    „Hast du nicht darüber nachgedacht, warum ich vorhin das Zelt Abram Ben Sakirs mitnahm? Hast du gemeint, daß ich es auf dem todbringenden Raml el Halahk aufschlagen wolle? Das Floß muß sehr leicht, sehr lang und sehr breit sein, wenn es mich tragen soll und ich nicht versinken will. Das mitgebrachte Zelt und das deinige, welches ich hier sehe, sie beide werden mir das leichte Leinen liefern, und aus den Zeltstanden fertigen wir das Gerippe des Floßes. Vorher aber muß ich sehen, wie tief die Flut des Sandes ist und welche Tragkraft sie besitzt.“
    Ich nahm eine Zeltstange und ging, mit derselben vorsichtig vor jedem Schritt den Boden sondierend, auf den Rand des Sees zu, den man, weil eben alles, alles Sand war, nicht unterscheiden konnte. Jeder unvorsichtige Schritt konnte mir den Tod bringen. Bald fühlte ich mit der Stange, daß der Boden vor mir schwand; ich kniete nieder und fuhr mit der Stange in die Sandflut; es gab keinen Halt. Hierauf wurden mehrere Seile zusammengebunden, mit einem Stein

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