30 Sekunden Verzögerung
vor sich, der alle menschlichen Rassen verkörperte. Er sah ihre lange Geschichte, die Entwicklung aus sogenannter toter Materie zu Geschöpfen, die ihre Blicke auf die fernen Sterne richteten. In diesen Sternen, in den unermeßlichen Räumen zwischen ihnen, lag ihre Bestimmung, ihr Schicksal, sofern sie aufhörten, einander zu vernichten in dem Bestreben, den Sternen näherzukommen. Nahmen sie nicht Vernunft an, so würde alles Leben erlöschen, und der endlose, mühsame Prozeß des Werdens aus winzigen Atomen würde von neuem beginnen müssen.
Zen fühlte sich erhoben, sein Bewußtsein hatte eine hohe, dem normalen Sterblichen unerreichbare Ebene erklommen, es hatte sich aus seinem Körper gelöst, stand wie ein zweites Ich neben ihm. Diese Erkenntnis verursachte ihm Pein, aber es war ein Schmerz, auf den nur der Körper reagierte, während der Geist unberührt davon blieb.
„Ist Ihnen nicht gut, Kurt?“ hörten seine Ohren Nedra fragen, die Zens keuchenden Atem hörte und seine schweißbedeckte Stirn sah. „Werden Sie etwa wieder ohnmächtig?“
„Nein“, sagte er mit spröden Lippen.
Sie hatten die lange Schlange Verwundeter erreicht, die auf die erste ärztliche Hilfe warteten. Zen schloß sich an, und Nedra blickte fragend zu ihm auf.
„Sie sind doch Offizier“, meinte sie unsicher. „Müssen Sie als Oberst –“ Zen schnitt ihr das Wort ab.
„Hier hat mein Rang nichts zu bedeuten“, sagte er kurz. „Ich bin einer von ihnen, mein Platz ist am Ende der Schlange.“
Die Männer vor Zen rückten jeweils um zwei Schritte vor, wenn eine Untersuchung beendet war. Keiner der Soldaten sprach, niemand lachte, kein Scherz erklang. Aber es beklagte sich auch niemand, wie es üblich war, wo immer Soldaten zu warten hatten. Ihr Schweigen wirkte gespenstisch und beunruhigend zugleich, aber Zen verstand die Männer. Sie waren sich dessen bewußt, was die letzten Minuten über sie gebracht hatten, sie waren über die unsichtbare Schwelle zwischen Tod und Leben getreten und warteten nun auf ihr Urteil. Äußerlich war ihnen nichts anzumerken, aber in ihrem Innern arbeitete es. Zen hatte das Empfinden, daß Glutwellen von ihren Körpern ausgingen und sie in einen unsichtbaren Panzer preßten. Einer der Männer schwankte, Zen glaubte, eine schillernde Blase von ihm aufsteigen zu sehen. Der Soldat fiel zu Boden und blieb liegen.
Nedra wollte zu ihm eilen, aber Zen schüttelte den Kopf. „Bleiben Sie, es hat keinen Sinn!“
„Warum nicht?“
Er deutete gegen den Himmel. „Zu spät. Er ist bereits dort oben.“
Nedras Gesicht wurde weiß, als sie begriff. „Ich kann es nicht glauben“, murmelte sie. „Ich muß mich überzeugen.“
Sie ging zu dem Mann hin, kniete neben ihm nieder, fühlte nach seinem Puls. Dann stand sie auf und kehrte zu Zen zurück, das Kinn auf der Brust, die Augen halb geschlossen.
Aus dem Untersuchungswagen ertönte die Stimme eines Offiziers, zwei Sanitäter eilten mit einer Trage herbei. Sie untersuchten den Toten, zuckten die Achseln. Sie hoben den leblosen Körper auf, trugen ihn an den Wegrand. Einer der Sanitäter nahm dem Toten die Erkennungsmarke ab, der andere führte einen Dosimeter über die leblose Gestalt, befestigte eine rote Karte an ihrem Handgelenk.
„Dort oben findet ihr hoch mehr Tote!“ rief Zen ihnen zu und wies zum Berg hinauf.
„Wir sind kein Beerdigungsinstitut“, war die rauhe Antwort.
Wieder rückte die Reihe vor Zen zwei Schritte vor.
„Es ist vorüber“, sagte Zen plötzlich.
„Was ist vorüber? Wovon sprechen Sie?“ fragte Nedra erstaunt.
„Ich bin wieder auf der Erde“, erklärte Zen.
„Auf der Erde? Sie waren doch nie an einem anderen Ort!“
„Vielleicht doch“, nickte Zen. „Auf der Ebene eines höheren Bewußtseins. Jetzt ist es vorüber, ich bin wieder hier. Ich sehe wieder mit meinen Augen, höre mit meinen Ohren. Aber etwas anderes hat mich verlassen – das Verständnis.“
Nedra blickte verwirrt zu West hinüber und wollte etwas sagen, aber der Mann mit dem steinernen Gesicht winkte ihr, zu schweigen.
„Saul auf dem Weg nach Damaskus“, murmelte Zen. „So wie ich muß sich Saul auf dem Weg nach Damaskus gefühlt haben.“
„Kurt …“, begann Nedra, aber West schnitt ihr mit einer herrischen Bewegung das Wort ab. Obwohl er äußerlich einem rauhen Gebirgler ähnelte, schien er zu ahnen, was in Zen vorging und brachte Verständnis auf für den Widerstreit der Empfindungen, die den anderen durchtobten.
„Alles
Weitere Kostenlose Bücher