30 Sekunden Verzögerung
aufatmend.
„Ich wünschte, ich begriffe es“, knurrte Zen zu sich selbst. Er zweifelte nun nicht mehr daran, daß Nedra eines jener geheimnisvollen Weltraumwesen war. West aber bedeutete ihm ein völliges Rätsel. Zen wußte zwar nicht, wie lange der andere der Strahlung ausgesetzt gewesen war, aber er glaubte nicht an die Felsspalte, und so blieb ihm Wests Unversehrtheit unverständlich.
Der Mann kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Hat mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Oberst“, sagte er. „Bin sicher, daß wir uns irgendwann und irgendwo wieder begegnen werden.“ Seine Worte klangen wie eine Feststellung, nicht wie eine vage Vermutung, und ein kaum verborgenes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Wer kann das wissen?“ erwiderte Zen achselzuckend. „Wir leben in einer komischen Zeit. Wenn sich heute Menschen Lebewohl sagen, tun sie es meistens im Bewußtsein, daß sie sich zum letztenmal gesehen haben.“
„Leider, ich weiß.“ Das Lächeln verschwand, Traurigkeit breitete sich auf den Zügen Wests aus. „Schlimm genug, daß es so ist. Nur durch Erfahrung wird man klug, beißt es. Es scheint, daß die Menschen wirklich nur auf diese Weise lernen können.“
„Wir haben Krieg“, wandte Zen ein.
„Mit dieser Auslegung bin ich nicht einverstanden“, widersprach West. „Krieg ist nur ein Symptom einer größeren Krankheit, eine Bezeichnung, die die Menschen dafür erfunden haben. Der Krieg selbst ist kein Unglück, nichts Schlechtes; die Menschen sind es. Auf der anderen Seite kann man ihnen kaum einen Vorwurf machen, denn alles, was sie jetzt erleben, ist nur ein Entwicklungsstadium.“
Die Erinnerung an seinen entrückten Zustand ergriff wieder von Zen Besitz. „Ich weiß“, nickte er. „Besser gesagt – ich wußte es einmal.“
„Wirklich? Wann war das?“
„Dort oben auf dem Berg wußte ich es. Dort waren mir die Dinge klar geworden, die sonst im Unterbewußtsein lagen. Aber ich habe wieder vergessen. Die Erinnerung ist ausgelöscht, wie eine Kerze, die ein plötzlicher Windzug ausbläst.“ Zen sprach langsam, er versuchte sich zu erinnern.
„Hm“, brummte West und hob den Kopf. „Ja, ich werde also gehen. Leben Sie wohl, Sir! – Nedra, ich möchte einen Augenblick mit Ihnen sprechen, bevor wir uns trennen. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben, Oberst.“
„Wie sollte ich?“ entgegnete Zen. Er verschränkte die Arme über der Brust und blickte Nedra und dem Mann nach, die nach einigen Schritten gegen den Berg hin stehenblieben. Sie unterhielten sich, aber sie waren zu weit entfernt, als daß er ihre Worte hätte verstehen können. Dann schüttelten sie einander die Hände, und West entfernte sich, den sanften Hang der Schlucht zur Linken hinabsteigend, um auf der anderen Seite wieder empor zu klimmen, wobei er sich bemühte, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Ort der Detonation zu bringen. Nedra kehrte zum Untersuchungswagen zurück, wo Zen sie erwartete.
„Lebt West tatsächlich hier oben?“ fragte Zen.
„Ich weiß es wirklich nicht“, erwiderte das Mädchen. „Ich nehme es an, kann es aber nicht mit Sicherheit behaupten.“
„Eine ziemlich rauhe Gegend, die nicht sehr einladend scheint.“
„Nach allem, was ich von West gesehen habe, ist er imstande, überall zu leben.“
„Kennen Sie ihn denn so gut?“
Nedras blaue Augen musterten Zen aufmerksam.
„Sie stellen ziemlich viel Fragen, Sir.“
„Ich werde Ihnen noch viel mehr stellen, Nedra.“
„Die nach meiner Telefonnummer, zum Beispiel, nehme ich an. Tut mir leid, daß ich Sie enttäuschen muß, aber ich habe kein Telefon. Hätte ich eines, so wüßte ich niemand, dem ich sie lieber geben würde als Ihnen.“ In ihrer Stimme war kein Spott, und Zen fühlte, wie es heiß in ihm aufstieg.
Der Traum, den er gleich Millionen anderen Menschen geträumt hatte, jener Traum von einem friedlichen, ausgeglichenen Leben mit einer Frau an seiner Seite und fröhlichen Kindern, der Traum, der so alt war wie die Menschheit selbst, kam ihm wieder in Erinnerung. Hätte er selbst über sein Schicksal entscheiden können, er hätte keine Sekunde gezögert, den Traum zur Wirklichkeit werden zu lassen.
Aber er war nicht Herr seines Schicksals, er konnte seine Wahl nicht nach freiem Ermessen treffen. Gab es überhaupt noch Menschen, die ihr Schicksal in den Händen hielten? Rollte nicht die Geschichte über sie hinweg nach ihren eigenen, ehernen Gesetzen, denen sich die
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