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302 - Wo der Wahnsinn regiert

302 - Wo der Wahnsinn regiert

Titel: 302 - Wo der Wahnsinn regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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hinter ihr ins Freie treten, doch Aimi stieß einen keuchenden Laut aus und stürzte zurück. Sie fiel in seine Arme. Ihre Augen waren weit aufgerissen und in ihren Zügen stand erstauntes Entsetzen.
    Aus ihrer Brust ragte ein Pfeil. Sie versuchte zu sprechen, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Ihre Lider zuckten und er sah den Blick der braunen Augen brechen.
    »Nein...« Daiko starrte an ihrem erschlaffenden Körper vorbei, hin zu dem Mann, der zwar reich und mächtig war, dem er seine Tochter aber um ihres Glückes willen verweigert hatte. Ren, der Bauer, der fast so alt war wie er selbst. Mit seiner Sake-Brennerei hatte er genug Vermögen gemacht, um ein Bankhaus zu gründen.
    Er saß auf seinem Pferd, den Bogen noch in der Hand. Sein Gesicht zeigte tiefe Befriedigung. »Jetzt hast du es, alter Narr«, sagte er gehässig. »Deine Tochter bekommt niemand mehr. So wollen es die Götter.« Er wandte sich ab und führte das Pferd in gemächlichem Tempo vom Haus fort.
    Draußen wurden Schreie laut. Einige der Frauen mussten gesehen haben, was geschehen war. Klagen und Verwünschungen klangen auf. Irgendwo ertönte ein schrilles Kreischen.
    Daiko nahm das alles wie aus weiter Ferne wahr. Er sah rote Punkte vor seinen Augen tanzen und war plötzlich nicht mehr er selbst. Etwas nicht in Worte zu Fassendes geschah mit ihm.
    Er war Hunderte von Jahren alt und war doch gerade erst geboren. Er war alles und nichts und zugleich nur Moment, nur Entschlossenheit und eiskalte Kraft. Eine Kraft, die aus tausend Leben in ihn zu strömen schien und ihn kompromisslos handeln ließ.
    Er griff nach dem Handbeil, das neben ihm an der Wand lehnte. Es war nicht wichtig, was aus ihm wurde, und in diesem Augenblick dachte er auch nicht darüber nach. Der Bauer Daiko rannte aus dem Haus, schleuderte das Beil und spaltete dem Mörder seiner Tochter nach einem Wurf von über zwanzig Metern den Schädel so sauber und zielsicher, als habe er niemals in seinem Leben etwas anderes getan.
    ***
    Swaanstein, Gegenwart
    » Er hat sie umgebracht. Aimi«, flüsterte Xij. »Aimi...«
    Matt hielt sie fest. »Xij? Kannst du mich hören?« In Xijs Augen standen Tränen, die sie nun verwirrt fortblinzelte.
    »Matt?«, flüsterte sie. »Kein Vater sollte sein Kind verlieren.«
    Matthew Drax starrte sie an und biss die Zähne aufeinander, während das Bild Anns vor seinem inneren Auge stand. Das waren Sätze, die er nicht hören wollte, wenn er sich auf die Gegenwart konzentrieren musste.
    »Interessant«, sagte Rudowigu neben ihm, und Stefaan übersetzte. »Haben diese dissoziativen Zustände mit der Erkrankung zu tun?«
    Matt schluckte und kämpfte das überwältigende Gefühl der Trauer zurück. Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Nein. Das ist... schwer zu erklären.«
    »In der Tat. Um Sie beide gibt es einige Rätsel«, übersetzte Stefaan die Worte des Königs. »Aber ich bin bereit, diese Rätsel vorerst stehen zu lassen. Kommen Sie mit.«
    Der König führte sie hinaus, mehrere Treppen hinunter, über den oberen Hof und hin zu dem Nebengebäude, das einst »Ritterhaus« genannt worden war. Dabei fiel Matt Yuna auf, die ihm bereits begegnet war. Die stumme Frau saß auf einer Bank und blickte im Fackelschein wehmütig auf eine Mauer des Innenhofs.
    »Sie sieht unglücklich aus.«
    Dieses Mal übersetzte Xij. »Der König sagt, sie sei unglücklich, weil ihre Tochter fort ist. Seit dem Tag, an dem der Lupa-Clan ihr das Kind raubte, spricht sie kein Wort mehr.«
    Matt schluckte und dachte erneut an Ann. Er konnte den Schmerz der Frau gut verstehen und spürte, wie seine Augen feucht wurden. Hastig blinzelte er und war froh, dass es bereits dunkel geworden war. »Du meinst die Barbaren, die vorher dieses Schloss bewohnt haben?«
    »Und die es seither immer wieder angreifen, um es zurückzuerobern, ja«, nickte Xij.
    »Natürlich ohne Erfolg«, ließ sich Stefaan vernehmen. »Hin und wieder entführen sie Menschen, meist Hilfesuchende, von deren Angehörigen sie dann ein Lösegeld erpressen. Hana, die Tochter Yunas, ist schon seit einigen Wochen in ihrer Gefangenschaft. Weil der König sich nicht erpressen lässt.«
    Sie betraten einen schmalen Gang und kamen in den medizinischen Bereich des Schlosses. Matt blinzelte gegen das helle Licht, das in den Räumen brannte, und sah erstaunt auf die vielen Menschen, die sich im Trakt aufhielten. Zwei weißgekleidete Frauen hoben grüßend die Hände und sagten etwas auf Japanisch. Mehrere Zimmer

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