302 - Wo der Wahnsinn regiert
Wänden. Ein einfacher Thron aus Holz stand auf einer Erhöhung. An seinen Seiten waren lange Eisenketten in den Boden eingelassen und verankert, an denen – Matt traute seinen Augen kaum – riesige weiße Witveer [5] festgemacht waren. Sie hockten links und rechts des Thronstuhls und sahen den Ankömmlingen wachsam entgegen. Ihre langen Schnäbel leuchteten im Schein der Wandfackeln wie mit Blut überzogen.
Xij stieß einen Pfiff aus. »Wow! Da brat mir doch einer einen Schwan!«
»Das sind Witveer«, sagte Matt. »Ich habe schon welche in Afra gesehen – und sogar geflogen.« Die mutierten Schwäne sahen ihn aus roten Augen an, und einen Augenblick glaubte Matt sich nach Afrika in die fliegenden Städte Kaiser De Roziers zurückversetzt.
»Wir nennen sie Swaans«, warf Stefaan ein. »Am besten bleibt ihr stehen, denn sie sind die Leibwächter des Königs und auf Angriff trainiert. Nur Rudowigu selbst kann ihnen Kommandos erteilen.«
Matt nickte. Er und Xij blieben zurück, während der König zu seinem Thron zwischen den Swaans ging. Als er sich auf das weiße Fell setzte, verzog Rudowigu das Gesicht und presste erneut seine Hand auf den rechten Oberbauch. Offensichtlich brauchte die Pille, die er vor wenigen Minuten eingenommen hatte, noch einige Zeit, bis sie wirkte. Wieder sagte er etwas auf Japanisch und blickte die beiden fragend an.
»Seine Majestät möchte nun ganz offiziell wissen, was genau er für euch tun kann«, übersetzte Stefaan.
Xij verzog das Gesicht. »So freundlich hat er das aber nicht ausgedrückt.«
Matt sah sie überrascht an, als sie plötzlich fließend Japanisch sprach. Er schüttelte den Kopf. Offensichtlich hatte Xij auch eines ihrer Leben in Japan verbracht, vielleicht sogar mehrere. In Anbetracht der langen Zeit, die sie wohl schon wiedergeboren wurde, war das kein Wunder.
Rudowigu legte den Kopf zurück und lachte. Er antwortete etwas und Matt kam sich ausgeschlossen vor. »Könnte bitte mal jemand übersetzen?«
Xij grinste. »Das lieber nicht. Aber ich werde dem König meinen Fall schildern.« Sie warf Stefaan einen abschätzenden Blick zu. »Behalt ihn im Auge. Er hat mehr als einmal falsch übersetzt und Dinge beschönigt.«
Stefaan hob die Schultern. »Ich weiß eben, wie man mit Seiner Majestät sprechen muss. Rudowigu legt viel Wert auf die Etikette. Es war ein langer Weg vom Bunkerkommandanten bis auf diesen Thron.«
»Und sicher ein interessanter«, ergänzte Matt, der durchaus neugierig war, mehr über Rudowigu und seine Geschichte zu erfahren. »Kommt ihr tatsächlich aus Japan?«
Während Xij weiter mit Rudowigu sprach, ihn immer wieder zum Lachen brachte und sich offenbar köstlich amüsierte, nutzte Matt die Gelegenheit, mehr aus Stefaan herauszubekommen. »Wie viele seid ihr, und wo lag euer Bunker?«
»Etwa dreihundert.« Stefaan klang stolz. »Unser Bunker lag im Großraum von Tokio, aber wir wurden vertrieben.«
Matt konnte sich gut vorstellen, wer die Bunkerkolonie heimgesucht hatte, aber er wollte sein Wissen nicht preisgeben. Es hätte zu viele Fragen aufgeworfen. »Warum seid ihr nach Neuschwanstein gezogen? Das ist doch...«, er hielt inne, als er die steile Falte auf Stefaans Stirn sah, »… eher ungewöhnlich«, endete er diplomatisch.
Stefaan wies in den restaurierten Thronsaal. »Es war Rudowigus Traum. Wie schon sein Vorgänger spürte er bereits in seiner Kindheit seine Majestät und seine Erwählung. Er stammt aus einer langen Reihe von Bunkerkommandanten, die bei uns in Sub-Nika autokratisch regierten, wenn sie auch einen Führungsstab zu ihrer Unterstützung zuließen. Er wusste schon von Geburt an, dass er eines Tages der oberste Kommandant sein würde, und als sein Vater viel zu früh starb, übernahm er dessen Position. Schon immer hat ihn Neuschwanstein fasziniert, und als wir keine Heimat mehr hatten, war es doch egal, wo wir hingingen, oder nicht?«
Ein Diener trat ein, der ähnlich einem Mönch eine lange schwarze Kutte mit Kapuze trug. Der Stoff fiel tief in sein Gesicht und verdeckte es. Er bewegte sich unterwürfig und hielt ein Tablett mit Fruchtsaft in den Händen, das er neben Matt und Stefaan auf einem Tischchen abstellte. Matt griff danach und merkte erst beim Trinken, wie durstig er war.
»Welche Fähigkeiten hat Rudowigu als Heiler?«, wechselte er das Thema.
Stefaan zögerte kurz. »Er ist Chirurg, aber auch Allgemeinmediziner. Er kennt sich mit Viren und Bakterien hervorragend aus. Die Medizin stand in unserem
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