302 - Wo der Wahnsinn regiert
Bunker immer hoch im Kurs. Schließlich mussten wir ein Mittel finden, um an der Oberfläche zu überleben.«
Ein Immunserum. Matt nickte. Dieses Problem kannten fast sämtliche Bunker, in denen er gewesen war. Nur jene Bunkermenschen, die frühzeitig damit begonnen hatten, sich mit Oberflächenkeimen kontrolliert zu immunisieren, hatten es ohne Serum geschafft. Und das auch, nachdem der weltweite Wandler-EMP fast zwei Jahre lang alle Technik ausfallen ließ. Von jenen Technos, deren Serumsproduktion davon betroffen war, hatten nur etwa zehn Prozent überlebt.
»Wie habt ihr den weiten Weg von Nipoo nach Doyzland geschafft?«, fragte Matt kopfschüttelnd.
Stefaan wollte eben antworten, als Rudowigu ihn in stark gebrochenem Deutsch unterbrach. »Kommen Sie, Herr Drax. Ihre Begleiterin hat mich überzeugt, Ihnen die medizinischen Einrichtungen zu zeigen.«
Der König sprang so behände vom Thron, als habe er nie Bauchschmerzen gehabt. Sein Blick wanderte über Xijs Körper und blieb an ihrem Gesicht hängen.
»Doch ehe wir gehen, habe ich noch eine Frage. Sagen Sie, meine Liebe, woher können Sie die Sprache meines Landes? Sie benutzen oft veraltete Worte. Wer war Ihr Lehrmeister?«
Xij kniff die Augen zusammen. Matt sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete und ihr Blick abwesend wurde. Offensichtlich erinnerte sie sich an Dinge, die in einem anderen Leben geschehen waren. Ihre Stimme klang leise. »Mein Lehrmeister, nun ja. Das ist eine lange Geschichte...«
***
Japan, Juli 1825
» Ein Mensch wird in hundert Jahren nicht vollkommen, aber verdorben wird er in wenigen Stunden. Und auch du, meine schöne Tochter, wirst in wenigen Stunden verdorben sein. Wenn du erst vom Nektar der Ehe getrunken hast, kann dir kein Sake mehr gut genug sein.«
Daiko Kagowa betrachtete seine bildhübsche Tochter grinsend und hielt ihr einen eckigen Holzbecher mit Reisschnaps entgegen. Sie stieß an und lachte. »Du bist der beste Vater der Welt. Wie machst du es nur, mich so gut zu verstehen? Keine meiner Freundinnen hat so ein Glück wie ich.«
Sie tranken den Sake in einem Zug, knallten die Becher auf den niedrigen Tisch, um den herum sie auf dem Boden saßen, und blickten einander in die Augen. Es war eine alte Mutprobe und wer zuerst lachte, der hatte verloren.
Daiko hatte das Spiel schon gespielt, lange bevor seine Frau gestorben und Aimi der einzige Halt in seinem Leben geworden war. Vielleicht spielten sie es heute zum letzten Mal. Dieser Tag war für ihn schwerer als für sie, da war er sicher. Trotzdem spürte er das im Bauch aufsteigende Lachen, als er in ihre verbissenen, hochkonzentrierten Züge sah, die ihn so sehr an das zauberhafte Kleinkind erinnerten, das sie einmal gewesen war.
Aimi schaffte es, ihr Gesicht zu einer grotesken Maske zu verziehen, während Daikos Falten sich eine nach der anderen ausbildeten, als sein Grinsen immer breiter wurde. Er hatte verloren, goss noch eine Runde Sake ein und lächelte sie an.
»Du bist Gold wert, Mädchen«, meinte er leise und spürte einen großen Stolz in sich. Jedes Mal, wenn er Aimi ansah, war in ihm eine Ruhe, die er nicht verstand, die ihn aber unsagbar glücklich machte. Es war, als sei er in seiner Mitte angekommen. Er konnte noch so lange und hart auf den Reisfeldern schuften, erst in den Augen seiner Tochter fand er Frieden. Es war ein Friede, der ihm das wertvollste Gefühl war, ganz so, als ob er nach Jahrhunderten der Aufregung endlich zur Ruhe kam.
Aimi stand auf und leerte ihren Becher ebenfalls. Ihr Kimono leuchtete in den prächtigsten Farben und der blaue gestickte Gürtel sah so edel an ihr aus, dass er sich seiner einfachen Bauernkleidung schämte. Sie berührte seine Hand.
»Und nun führ mich zu ihm, Cehichi [6] . Bring mich zu meinem Mann.«
Sie sah so hübsch aus. Sie freute sich so. Ihre Wangen glänzten rot und ihre Lippen waren bemalt. Bald würde sie sich die Zähne schwarz färben, denn sie würde die Frau eines verarmten Samurai werden, der mehr Ehre im Leib hatte als mancher Shogun. Noch an diesem Tag würde sie sein Haus verlassen und nur noch als gern gesehener Besuch zurückkehren.
»Ich werde dich vermissen«, flüsterte er und stand auf. Draußen wartete bereits in einigem Abstand vor dem Haus ein Zug aus jungen Frauen, der die Braut gemeinsam mit ihm auf dem Weg zum geschmückten Schrein begleiten wollte.
Noch einmal drückte Daiko sein Kind an sich, dann ließ er ihr den Vortritt und hielt ihr die hölzerne Tür auf. Er wollte
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