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302 - Wo der Wahnsinn regiert

302 - Wo der Wahnsinn regiert

Titel: 302 - Wo der Wahnsinn regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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irgendeiner Weise rechtfertigte, aber es wäre eine Erklärung für das Maß seiner Rache gewesen.
    Als Matt seine Gedanken ordnete, wurde ihm die Zwickmühle bewusst, in der er nun steckte. Am liebsten würde er sich den falschen Ludwig bei seiner Rückkehr ins Schloss zur Brust nehmen – aber wenn er der Einzige war, der Xij retten konnte, musste er notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel machen.
    Ob er überhaupt vorhatte, Xij zu helfen? Was konnte er jetzt noch auf das Wort Rudowigus geben?
    ***
    Xij fühlte sich erstaunlich gut, seitdem sie Rudowigus Pillen eingenommen hatte. Die Mixtur musste auch einen Stimmungsaufheller beinhalten, doch sie war erfahren genug, um nicht übermütig zu werden.
    Das Ausharren in der Baumkrone war unbequem, aber es machte ihr in den ersten Stunden kaum etwas aus. Sie entdeckte eine Wasserstelle ganz in der Nähe und spähte angestrengt zwischen dem dichten Blattbewuchs hindurch. In ihrer Brusttasche trug sie das Bild des Mädchens, nach dem sie Ausschau hielt.
    Die Sonne ging auf, das Dorf erwachte. Die Bewohner gingen ihren Tätigkeiten nach. Unter ihrem Baum begannen zwei Frauen Körbe zu flechten. Nicht weit entfernt wurden kleine Handbeile auf eine abgestorbene Tanne geworfen. Jemand hatte eine silbern blitzende Münze an den Baum genagelt, die wie ein altes Eurostück aussah. Xij amüsierte sich darüber, wie schlecht die meisten der Heranwachsenden das Ziel trafen. Oft flogen die Beile am Baumstamm vorbei und schlugen Löcher ins Gras. Einmal traf ein Beil beinahe einen herumstreunenden Wolfshund.
    Eine Gruppe von Männern verließ das Dorf, auch einige ältere Frauen zogen begleitet von jüngeren Bewaffneten los. Die Zeit verging, die Sonne stieg höher, aber von einem japanisch aussehenden Mädchen war nichts zu sehen.
    Schließlich spürte Xij, dass die Wirkung des Medikaments nachließ. Bleierne Müdigkeit griff nach ihr. Sie unterdrückte ein Gähnen, blinzelte und zog das Döschen hervor, um noch zwei der Pillen einzuwerfen.
    Doch ihr Griff war weich wie Wasser. Sie fuhr zusammen, als ihr das Behältnis aus der Hand glitt. Adrenalin durchflutete sie augenblicklich und vertrieb die Müdigkeit.
    »Scheiße!«, zischte sie kaum hörbar und sah dem Döschen hinterher, das gegen mehrere Äste prallte, ehe es nahe dem Stamm zu Boden fiel und auf der dunklen Erde liegen blieb.
    Xij sah sich hektisch um, doch niemand hatte den Zwischenfall bemerkt. Noch nicht. Es war ruhig im Dorf. Momentan hielt sich niemand auf dem Platz auf. Ein Stück entfernt zogen mehrere Rauchsäulen in den Himmel.
    Was nun? Sie brauchte die Pillen. Nicht auszudenken, wenn sie das Bewusstsein verlor und vom Baum stürzte.
    Noch einmal sah sie sich nach den Frauen um, die an den Körben geflochten hatten. Sie hatten ihren Platz schon vor über einer halben Stunde verlassen und waren noch nicht zurückgekehrt. Vermutlich halfen sie beim Kochen. Als ein Wächter in einiger Entfernung aus ihrem Blickfeld verschwand, riskierte Xij es.
    Sie ließ sich lautlos vom Baum gleiten, griff das Döschen, verstaute es wieder in der Tasche und sprang an den nächsten größeren Ast.
    Sie zog sich gerade nach oben, als sie das Kind bemerkte. Es saß im Schatten eines Findlings und sah sie mit großen Augen an. Von ihrer Position im Baum aus hatte sie es nicht sehen können.
    Langsam zog sich Xij weiter nach oben, während das Kind unverwandt in ihre Richtung blickte. Es war höchstens zwei Jahre alt, wenn nicht jünger. Langsam streckte es die Hand aus und zeigte auf den Baum.
    Xij brach der Schweiß aus. Sie kletterte zurück zu ihrem halbwegs bequemen Platz in einer großen Astgabel. Das Kind sah noch immer zu ihr hoch, doch es machte keine Anstalten, zu weinen oder zu schreien. Und niemand war in der Nähe, der den Fingerzeig bemerkte.
    Tief durchatmend kümmerte sich Xij um ihr vorrangiges Problem. Sie nahm das Döschen dieses Mal vorsichtiger und schluckte zwei weitere Pillen. Dann sah sie wieder angstvoll zu ihrem Beobachter hinab, doch der begnügte sich damit, immer wieder zum Baum hochzuschauen. Xij schloss die Augen und betete zu allen ihr bekannten Göttern, das Kind möge rasch eine andere Beschäftigung finden.
    Dann kamen mehrere junge Frauen zur Wasserstelle. Sie trugen schwere Holzeimer. Xij kniff die Augen zusammen und setzte den Feldstecher an. Bingo! Eine der insgesamt acht jungen Frauen war Hana! Sie trug einen Lendenschurz aus Fell, ansonsten war sie wie die anderen nackt. Ihr Oberkörper

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