302 - Wo der Wahnsinn regiert
und die Männer zu Samurai. Sie sollten die alten Traditionen ehren, so wie Ludwig sie geehrt hatte und selbst Großmeister des Ordens vom Heiligen Georg gewesen war.
Masao sah sich um, als die Tür sich öffnete und seine drei Unterkommandanten eintraten. Einen von ihnen mochte er besonders. Er nannte sich Stefaan und beherrschte die alte europäische Sprache Ludwigs. Sein Geburtsname war Fudo, doch den hatte er bereits vor zwei Jahren abgelegt. Er war noch sehr jung, zu jung für sein Amt, aber von großem Verstand und ausgesprochen talentiert. Begleitet wurde er von Yuna, die sich weigerte einen europäischen Namen anzunehmen, und von Akuma, der in den letzten Jahren endlich Demut gelernt hatte und ihm kaum mehr widersprach.
»Was habt ihr zu berichten?«
Sie setzten sich an einen runden Tisch, und Masao ließ die letzten Reste eines Weins kredenzen, den er vom chinesischen Festland über verbündete Barbaren erhalten hatte.
Yuna sah zu Boden, als wage sie es nicht, seinem Blick offen zu begegnen. »Es wächst eine Bedrohung heran. Wilde Horden landen mit Dampfbooten an der Westküste, plündern und greifen die Gemeinschaften an. Es heißt, sie würden nach Bunkern suchen, um die Bewohner auszurotten.« Sie senkte die Stimme. »Es ist die Rede davon, dass sie über todbringende Technik und schreckliche mutierte Tiere verfügen, mit denen sie uns allesamt vernichten können.«
»So ein Unfug.« Masao schüttelte den Kopf, hielt dann aber inne. Was hätte Ludwig getan? Hatte der stolze König nicht auch seinen Untergebenen stets zugehört? Auch wenn er den Krieg dann gern anderen überließ?
Stefaan schüttelte milde den Kopf. »Diese Ostmänner sind nur ein Schauermärchen, Yuna. Die anderen Bunkergemeinschaften haben Angst vor allem, und sie fürchten auch uns, weil wir uns inzwischen an der Oberfläche behaupten können, während sie noch wie Maulwürfe unter der Erde hocken. Ihr Neid kennt keine Grenzen. Sie wollen uns aufscheuchen und vertreiben, um selbst das Schloss zu übernehmen.«
In Masao krampfte sich alles zusammen. Konnten denn seine Feinde so gerissen sein, dass sie ihn mit einer erfundenen Bedrohung vertreiben wollten, um die Früchte seiner mühsamen Arbeit zu ernten? Er sah Akuma an. »Was sagst du? Sprich offen.«
Akuma hob den Kopf. Auf seinem Gesicht prangte eine lange Narbe, die er sich im Kampf mit einem mutierten Wolf zugezogen hatte. »Stefaan schönt die Dinge. Es gibt diese Ostmänner, ihre Waffen und Mutationen. Aber wir sollten deshalb nicht kopflos reagieren. Stellen wir uns dem Feind. Wir haben zu viele Opfer gebracht, als dass wir nun kampflos aufgeben dürfen.«
Masao lächelte. »Gut gesprochen. Aus dir wird doch noch ein Samurai. Also bleiben wir und verteidigen das Schloss gegen die Feinde.«
Stefaan legte den Kopf schief. »Vielleicht können wir sie auch für uns gewinnen. Diese Ostmänner sind stark. Einige von ihnen scheinen selbst wie Tiere zu sein.«
»Eben«, warf Akuma ein. »Sie sind wie Tiere und mutiertes Gesindel. Vergiss deinen Plan. Wir haben Waffen, und wir werden sie zurückwerfen!«
Masao klatschte in die Hände. »Das ist der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe.« Er lachte gönnerhaft. Die Sache war für ihn entschieden. Swaanstein würde den Ostmännern trotzen. Wenn sie mehr waren als ein Schauermärchen, würden sie an seinen Mauern scheitern.
***
Nipoo, Swaanstein, wenige Wochen später
Als sie kamen, setzten sie alles in Brand, was brennen konnte. Masao war sprachlos über ihre Kraft, ihre Grausamkeit und ihre Waffen. Er schickte ihnen die Arbeiter aus Cinna entgegen und bekam sie über ein Katapult zurückgeschleudert. Ihre Körper zerplatzten an den Mauern wie überreife Früchte.
Die wenigen Felder wurden verwüstet, das Schloss belagert. Niemand konnte auf den offiziellen Wegen hinein oder hinaus. Und immer wieder flogen Brandpfeile über die Zinnen, erschütterten Geschütze die Festen seines geliebten Schlosses, während die Trommeln schlugen und die Ostmänner um brennende Bäume herumtanzten.
Mehrere Tage lang lag Swaanstein unter Beschuss. Stefaan, der vom Turm aus die Angriffe beobachtete, kam schließlich mit aufgeregt wedelnden Händen angerannt. »Rudowigu – Majestät, wir werden immer vehementer beschossen!«, rief er. »Die Mauern werden nicht mehr lange standhalten! Wir müssen das Schloss räumen!«
Das Schloss räumen. Der Satz peinigte ihn wie ein Tumor. Rudowigu, der einst Masao Tanako geheißen hatte, spürte,
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