303 - Tod einer Königin
Inseln zuckten längst sterbend in ihrem Blut.
Zuerst kniete er nur hilflos zwischen ihnen, sah von einer zur anderen, wusste nicht, was er tun sollte. Als hätte eine Lähmung seine Glieder befallen, so kam er sich vor, während er sich schließlich über Bahafaa beugte. Verkrümmt, mit aufgerissener Kehle und zerfleischter Brust lag sie da, schnappte noch ein paar Mal nach Luft und streckte sich schließlich. Ihre leeren Augen starrten in den Himmel.
Grao’sil’aana stand auf, durchquerte den Hof halb betäubt, rüttelte am Tor zum nächsten Ringbau. Verriegelt. Eine Zeitlang stand er da wie festgewachsen – bis er sich umdrehte und mit steifen Beinen in den Hof hinein stelzte. Es war wie in einem bösen Traum.
Auf halbem Weg blieb er stehen, drehte sich um und stürmte los. Schreiend warf er sich gegen das Tor, wieder und wieder, bis es aus der Verankerung brach.
Er tobte durch das Gebäude in den nächsten Hof, durch das nächste Ringgebäude, durch den nächsten Hof. Er zerschlug Fenster, brach Türen auf, zertrümmerte Torflügel, bis er durch den letzten Innenhof, den sechsten, einem Turm entgegen rannte. Hoch oben sah er sie – mindestens fünfzehn Köpfe der entstellten Primärrassenvertreter beugten sich zwischen die Zinnen. Er brüllte seinen Schmerz und seinen Zorn heraus und wollte die Treppe hinaufspringen, die zum Turmeingang führte. Im letzten Moment erkannte er die Blasrohre in den Schießscharten links und rechts des Tores.
Gedankenschnell machte er kehrt. Solange das Gift verhinderte, dass er einen undurchdringlichen Schuppenpanzer ausbildete, musste er auf der Hut sein. Betäubten ihn die Nordmänner, war er tot – sie würden seinen Leib in kleine Stücke zerlegen.
Schon flogen vier oder fünf Giftpfeile heran – und verfehlten ihn, als Grao durch das zerbrochene Tor des siebten Ringgebäudes hechtete.
Er richtete sich auf den Knien auf. »Ich komme wieder!«, brüllte er. »Bei Sol’daa’muran, ich komme zurück!« Er benutzte die Sprache der Kriegerinnen der Dreizehn Inseln. »Euer Fleisch werde ich an die Möwen verfüttern! Kein Stein wird hier auf dem anderen bleiben! Das schwöre ich euch!«
Sein starker Schuppenleib bebte, als er aufstand und den Weg zurück wankte, den er gekommen war. Etwas Nasses strömte ihm über sein schuppiges Gesicht, etwas, das er schon bei weiblichen Primärrassenvertretern gesehen hatte: Tränen.
Tränen? Er? Ein Sil der Daa’mure weinte ? Er begriff sich selbst nicht mehr.
Seine toten Gefährtinnen lud er auf einen Karren, den er in einer Stallung fand, und zog ihn bis in das äußere und höchste Ringgebäude. In dessen Kellergeschoss fand er Evaluuna. Zitternd und stumm kauerte sie in einer Wandnische neben dem Kran. Aus glänzenden Augen starrte sie ihn an.
»Keine Angst, ich helfe dir.« Beruhigend sprach er auf sie ein, streichelte sie, hüllte ihren nackten Körper in einen Wildledermantel, den er in einem Verschlag mit Kleidern und Werkzeugen fand. Auch Felle und Lederdecken gab es dort.
Mit einem Fell deckte er die Toten zu. Dann setzte er die zitternde Evaluuna zu den Leichen auf den Wagen. Niemand stellte sich ihm in den Weg, als er den Karren aus der Ringfestung zog.
Unten, am Hafen, wusch er das Blut von den Toten, wickelte sie in Felle und legte sie in das Ruderboot, mit dem sie ihn und sie hierher gebracht hatten. Ganz zum Schluss erst setzte er Evaluuna zwischen zwei Ruderbänke auf einige Felle und legte ihr eine Lederdecke um die Schultern.
»Das ist dein Lager für die nächsten drei Tage. Hörst du, was ich sage?« Sie nickte stumm. Grao’sil’aana vermutete, dass der Schock ihr den Verstand geraubt hatte. »Du brauchst keine Angst zu haben, hörst du?« Wieder nickte sie. »Ich werde das Boot zurück zu den Dreizehn Inseln bringen.« Er konnte nur hoffen, dass sie sich auf dem Weg dorthin nicht ins Meer stürzte.
Er band das Boot los, sprang ins Wasser und legte sich das Tau um die Hüfte. Dann nahm er die Gestalt eines Delfiins an. So tauchte er zwischen die Wogen, und während er schwamm, zog er das Boot mit Evaluuna und den toten Gefährtinnen ins offene Meer hinaus.
Einmal noch blickte Grao zurück. Wie ein mächtiger runder Steinklotz lag die Ringfestung oberhalb der Küste. Ich komme zurück, wiederholte er seinen Schwur in Gedanken. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.
Er zog das Ruderboot nach Osten, den Dreizehn Inseln entgegen. Bald verschwamm die Küste von Malmee mit dem Abendhimmel.
Das Leiden
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