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303 - Tod einer Königin

303 - Tod einer Königin

Titel: 303 - Tod einer Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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und dennoch atmete Aruula schneller als sonst und ihr Mund war eigenartig trocken. Die Empfindung, einem Stärkeren gegenüberzustehen, beunruhigte sie; dabei stand da nur ein altes Lederzelt.
    »Wer steckt unter der Plane?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
    »Was glaubst du wohl?«, krächzte eine uralte Frauenstimme im Inneren des Zeltes. Aruula erstarrte. »Ich natürlich.« Die Eingangsplane wurde zur Seite geschoben. »Wudans Willen wirst du nicht mit dem Schwert aus der Welt schaffen, Aruula.« Eine Greisin trat aus dem Zelt: weißes, verfilztes Haar, gelblich braune Pergamenthaut und ein wenig krumm. Ihr langer Lederumhang war von schwärzlichem Rot, ein rotgoldener Ring hing in ihrem rechten Nasenflügel.
    Die Göttersprecherin aus ihrem Traum – Wudans Auge .
    »Leg die Klinge zur Seite, Mädchen, und setz dich.« Sie runzelte die Stirn. »Etwas stimmt nicht mit dem Schwert«, sagte sie dann langsam. »Es steckt... ein fremder Geist darin.«
    Aruula nickte. »Mach dir keine Sorgen. Es ist die Bewusstseinskopie eines alten Freundes.« Sie wies auf den Kristall. »Darin ist sie abgespeichert.«
    Die Greisin schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kaum, was du redest, Aruula. Du warst zu lange in der Welt der anderen Menschen unterwegs.« Sie bedachte das Schwert mit einem letzten kritischen Blick und ließ sich dann vor dem Zelt im Vorjahreslaub nieder. »Wie auch immer: Es ist nicht die Zeit, das Schwert zu gebrauchen, es ist die Zeit, die Ohren zu spitzen, zuzuhören und nachzudenken. Sorgfältig nachzudenken.
    Aruula schluckte. Eine merkwürdige Scheu hatte sie befallen, eine Bangigkeit, die sonst nicht zu ihrem Wesen gehörte. Sie stieß das Schwert in den Waldboden zwischen die Wurzeln der Linden und wollte sich zwei Schritte vor der Göttersprecherin in Gras und Moos setzen.
    »Komme ruhig näher«, verlangte die. Aruula tat einen zögernden Schritt. »Noch näher.« Aruula gehorchte. »So ist es gut.« Eine Unterarmlänge vor Wudans Auge setzte Aruula sich auf die Fersen.
    Aufmerksam musterte die Alte sie. Sie lächelte freundlich, und in ihren grünen Augen entdeckte Aruula dieselbe Güte, die sie schon bei der ersten Begegnung so tief beeindruckt hatte. Wie lange war das her? Zwanzig Winter? Oder noch länger? Wudans Auge erschien ihr um keine Spur älter und gebrechlicher als damals. Doch vielleicht konnte man ja auch nicht mehr viel älter aussehen, als diese verwelkte Greisin es ohnehin tat. Hätte jemand Aruula erzählt, sie sei hundertfünfzig Winter alt, sie hätte es geglaubt.
    »Die Augen sind dieselben«, sagte Wudans Auge endlich. »Das Feuer darin auch. In deinen Gesichtszügen aber und um deinen Mund herum sehe ich etwas Neues.« Sie streckte den rechten Arm aus und ihre knochigen Finger berührten Aruulas Wangenknochen, strichen über Lippen und Schläfen. »Schmerz hat sich darin eingenistet. Du hast viel gesehen, scheint mir. Zu viel?«
    Aruula presste die Lippen zusammen, schluckte und sagte kein Wort. Ihre Kaumuskeln pulsierten.
    »Zu viel also.« Die Greisin zog ihre Hand zurück. »Und nun schwillt das wilde Wasser an, nicht wahr?« Aruula runzelte die Stirn, verstand nicht und wusste nichts zu antworten. »Es wird dich hinweg reißen, wenn du keine Entscheidung triffst.« Die Göttersprecherin beugte sich vor, der Blick ihrer grünen Augen brannte in Aruulas Gesicht. »Für einen der drei Wege musst du dich entscheiden: für die linke Brücke, für die rechte Brücke oder für den dritten Weg.«
    Jetzt fiel es Aruula wie eine schwarze Binde von den Augen – Wudans Auge sprach von ihrem Traum. Doch wie konnte das sein? Wie konnte die Greisin wissen, was sie geträumt hatte? »Was für ein dritter Weg denn...?« Sie war verwirrt. »Es gab doch nur die Mauer und diese beiden Brücken...«
    »Es gab noch das Boot. Hast du es nicht gesehen?«
    »Ja. Aber...« Deutlich sah sie es jetzt vor ihrem inneren Auge im anschwellenden Wasser schwanken. Lusaanas Königsgewand füllte es zur Hälfte aus.
    »Der linke Fluss heißt Maddrax, der rechte Aruula.« Die Greisin flüsterte. »Steig in das Boot, überlass dich der Strömung und wirst sehen: Jenseits der Mauer strömen beide Flüsse wieder zusammen, der mit dem Namen Maddrax und der mit dem Namen...«
    »Nein!« Aruula ballte die Rechte zur Faust. »Niemals! Niemals will ich ihn wiedersehen!«
    ***
    Zu spät, zu spät, er kam zu spät! Das Genick des Izeekepirs brach wie der Stamm einer alten Birke, doch Graos Gefährtinnen von den Dreizehn

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