307 - Späte Vergeltung
blieb der Lupa stehen und lauschte. Xij konzentrierte ihre Gedanken fest auf das Tier. So wie sie es einst als namenloses Wolfsmädchen getan hatte, das im ehemaligen Iran als Zweijährige von Lupas gefunden und großgezogen worden war. Der intuitive Umgang mit den Tieren, zu denen sie Kontakt auf empathischer Basis entwickeln konnte, war ihr bis heute geblieben.
Mit einer Mischung aus kehligen Lupa-Lauten und starken Bildern schaffte sie es tatsächlich, den Lupa zu erreichen. Eine Verbindung entstand. Sie spürte plötzlich das brodelnde Chaos animalischer Instinkte. Es war ein Weibchen!
Beschütze mich!, dachte sie intensiv. Ich brauche deine Hilfe! Auch wenn ich stärker bin als du...
Xij wusste genau, wie sie sich empathisch »verkaufen« musste. Es klappte. Die Lupa erkannte Xij als ranghöher an. Sie begann zu knurren und an den Gitterstäben hochzuspringen. Wie wild zerrte sie daran. Xij, die sich in der Nähe der Lupa sicher fühlte, half ihr.
Plötzlich war das stinkende Tier direkt vor ihr. Einen Moment lang berührte Xij mit ihrer Nasenspitze die feuchte Schnauze. Dann streichelte sie der Lupa über den Kopf. Sie war ungewöhnlich groß. Und besaß zwei riesige Hauer, die über die Lefzen ragten, fast wie bei einem Sebezaan. Xij zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sie ertastete.
Gutes Tier!, dachte sie. Du tust mir nicht, und ich tue dir nichts, okay? Was hältst du von Teamarbeit...?
***
Es dauerte über eine Stunde, doch dann schafften sie es gemeinsam tatsächlich, zwei Stäbe so weit auseinanderzubiegen, dass Xij sich hindurchzwängen konnte. Viel war dafür nicht nötig. Für einen Gefangenen von Xijs Statur war der Käfig offensichtlich nicht ausgelegt – ganz davon abgesehen, dass bis jetzt garantiert niemand versucht hatte, daraus zu entkommen .
Die junge Frau schaffte es kaum, sich zu beherrschen. Ruckartig drehte sie den Kopf, wenn sie etwas in der Finsternis zu hören glaubte.
Gleich darauf wusste sie, dass sie Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben durfte: Die Lupa verjagte mit gesträubtem Fell zwei Zwergandronen, die sich ihnen genähert hatten. Einer dritten biss sie in den Leib. Chitin knackte hässlich, das hohe Schrillen des Rieseninsekts war kaum auszuhalten.
Xij hatte in den Gedanken der Lupa gesehen, dass die Tiere gefüttert wurden. Bring mich zur Futterluke!, sandte sie nun Gedankenimpulse aus. Fleisch! Fressen! Wo?
Sie fasste die Lupa am Nackenfell. Wie ein Blindenhund trottete das Tier los und leitete die junge Frau durch ein Gewirr von Gängen und Abflussrohren, in denen stinkendes Brackwasser stand.
Das seltsame Paar war gut eine Stunde unterwegs. Immer wieder biss die Lupa Feinde weg. Schließlich erreichten sie die besagte Stelle.
Xij erschrak. Denn die Futterluke befand sich in einem aus groben Ziegeln gemauerten Raum, der in rotes Dämmerlicht getaucht war. In die Decke war eine Glasplatte eingelassen. Wahrscheinlich ergötzten sich Gaffer an den Futterkämpfen der Bestien. Momentan schien jedoch niemand dort oben zu stehen.
Xij sah die Luke in etwa zwei Metern Höhe. Eine bewegliche Metallklappe deckte sie ab. Xij reckte sich und tastete nach dem unteren Rand der Klappe. Ihr war unwohl dabei, den vier Taratzen, die mit tückischen Blicken im hinteren Teil des Raums standen, den Rücken zuzudrehen, obwohl die riesige Lupa sie mit zurückgezogenen Lefzen beschützte.
Sie kam mit den Fingerspitzen unter die Klappe. Dort erfühlte sie rauen Stein. Obwohl sie fast unerträgliche Schmerzen dabei hatte, versuchte sie einen Klimmzug.
Die Aussicht, dass ihr Opfer entkommen könnte, versetzte die Taratzen in Torschlusspanik. Mit zitternden Barthaaren und ausgefahrenen Krallen griffen sie die Lupa an.
Todesschreie erklangen, haarige Körper wirbelten durch die Luft. Die Lupa veranstaltete ein Blutbad. Nur eine Taratze blieb unverletzt. Sie zog einen toten Artgenossen mit sich und begann ihn schmatzend zu verzehren.
Im dritten Anlauf schaffte es die junge Frau endlich, sich hochzuziehen. Keuchend hielt sie sich oben und versuchte mit dem Kopf unter die Klappe zu kommen. Es gelang. Dann stemmte sie sich vollends hoch, was ihr abgebrochene Fingernägel und blutige Fingerspitzen einbrachte. Hätte sie nicht das unglaubliche Glück gehabt, blitzschnell die unterste Sprosse einer Leiter im Schacht fassen zu können, sie wäre wieder abgerutscht.
Xij zog die Beine nach. Die Klappe schloss sich hinter ihr. Wahrscheinlich hatte sie eine Serviceleiter erwischt, über die
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