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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Realität materialisiert. Sie schluchzte laut auf und lachte und weinte zugleich, als sie durch das Zimmer auf mich zulief und mich umarmte. »Mein Kind! Mein Kind, dass du wieder da bist! Ich habe immer gewusst, dass du wiederkommst!« Ich atmete tief ihren Duft ein. »Dass du wieder da bist«, flüsterte meine Mutter, immer wieder. »Natascha - du bist wieder da.« Wir umarmten uns, hielten uns lange fest. Der enge Körperkontakt war so ungewohnt, dass mir schwindlig wurde von so viel Nähe.
    Meine beiden Schwestern hatten gleich hinter ihr die Inspektion betreten, auch sie brachen in Tränen aus, als wir uns in die Arme fielen. Wenig später kam auch mein Vater. Er stürzte auf mich zu, starrte mich ungläubig an und suchte als Erstes die Narbe, die ich mir nach einer Verletzung als Kind zugezogen hatte. Dann nahm er mich in die Arme, hob mich hoch und schluchzte auf: »Natascha! Du bist es wirklich!« Der große, starke Ludwig Koch weinte wie ein kleines Kind, und ich weinte mit.
    »Ich hab dich lieb«, flüsterte ich, als er viel zu schnell gehen musste - wie die vielen Male, wenn er mich nach einem Wochenende wieder zu Hause absetzte.
    Es ist eigenartig, wie belanglos die Fragen sind, die man nach so langer Zeit hat: »Leben die Katzen noch? Bis du noch mit deinem Freund zusammen? Wie jung du aussiehst! Wie erwachsen du bist!« Als müsste man sich erst langsam wieder an den anderen herantasten. Als würde man ein Gespräch mit einem Fremden führen, dem man - aus Höflichkeit oder weil man keine anderen Themen hat - nicht zu nahe treten möchte. Für mich selbst war das eine ungeheuer schwierige Situation. Ich hatte die letzten Jahre nur überstanden, weil ich mich in mich selbst zurückgezogen habe. Ich konnte den Schalter nicht so schnell umlegen und fühlte bei aller physischen Nähe eine unsichtbare Wand zwischen mir und meiner Familie. Wie unter einem Glassturz sah ich sie lachen und weinen, während meine Tränen versiegten. Ich hatte zu lange in einem Alpträum gelebt, mein psychisches Gefängnis war noch da und stand zwischen mir und meiner Familie. In meiner Wahrnehmung sahen alle genauso aus wie vor acht Jahren, während ich vom Schulkind zu einer erwachsenen Frau geworden war. Ich fühlte mich, als wären wir Gefangene unterschiedlicher Zeitblasen, die sich kurz berührt hatten und nun mit rasender Geschwindigkeit auseinanderdrifteten. Ich wusste nicht, wie sie die letzten Jahre verbracht hatten, was in ihrer Welt passiert war. Aber ich wusste, dass es für das, was ich erlebt hatte, keine Worte gab - und dass ich die Gefühle, die mich innerlich überrollten, nicht zeigen konnte. Ich hatte sie so lange weggesperrt, dass ich die Tür zu diesem, meinem eigenen emotionalen Verlies nicht so einfach aufreißen konnte.
    Die Welt, in die ich zurückkehrte, war nicht mehr die, die ich verlassen hatte. Und auch ich war nicht mehr die Gleiche. Es würde nichts mehr sein wie vorher - niemals. Das wurde mir spätestens klar, als ich meiner Mutter eine Frage stellte: »Wie geht es Großmutter?« Meine Mutter blickte betreten zu Boden: »Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Es tut mir sehr leid.« Ich schluckte und verstaute die traurige Nachricht sofort weit unter dem dicken Panzer, den ich mir in der Gefangenschaft zugelegt hatte. Meine Großmutter. Erinnerungsfetzen wirbelten durch meinen Kopf. Der Geruch nach Franzbranntwein und Christbaumkerzen. Ihre Schürze, das Gefühl von Nähe, das Wissen, dass der Gedanke an sie mich durch so viele Nächte im Verlies gebracht hatte.
     
    * *  *
     
    Nachdem meine Eltern ihre »Aufgabe« erfüllt und mich identifiziert hatten, wurden sie hinausgeleitet. Meine Aufgabe war es nun, dem Apparat zur Verfügung zu stehen. Es gab noch immer keinen Moment der Ruhe für mich.
    Die Polizei organisierte eine Psychologin, die mich in den nächsten Tagen unterstützen sollte. Ich wurde wieder und wieder befragt, wie man den Täter dazu bringen könnte, sich zu stellen. Ich wusste keine Antwort. Ich war sicher, dass er sich umbringen würde, doch ich hatte keine Ahnung, wie und wo. In Strasshof, hörte ich nebenbei, wurde das Haus gerade auf Sprengstoff überprüft. Am späten Nachmittag entdeckte die Polizei mein Verlies. Wahrend ich in der Amtsstube saß, durchwühlten Spezialisten in weißen Anzügen den Raum, der acht Jahre lang mein Gefängnis und mein Rückzugsraum gewesen war. Noch vor wenigen Stunden war ich dort aufgewacht.
    Am Abend wurde ich mit einem Zivilfahrzeug in ein

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