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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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ich, dass ich mich nicht erdrücken lassen durfte von meiner Angst, dass ich etwas tun musste. Ich nahm eine der Mineralwasserflaschen, mit denen der Täter mir frisches Leitungswasser gebracht hatte, und hämmerte damit mit all meiner Kraft gegen die Wandverkleidung. Erst rhythmisch und energisch, bis mir der Arm lahm wurde. Am Ende war es nicht mehr als ein verzweifeltes Trommeln, in das sich meine Schreie um Hilfe mischten. Bis mir die Flasche aus der Hand glitt.
    Niemand kam. Niemand hatte mich gehört, vielleicht noch nicht einmal der Täter. Ich brach erschöpft auf meiner Matratze zusammen und rollte mich ein wie ein kleines Tier. Mein Schreien ging in Schluchzen über. Das Weinen löste die Verzweiflung zumindest für kurze Zeit und beruhigte mich. Es erinnerte mich an meine Kindheit, als ich wegen Nichtigkeiten geweint - und den Anlass dafür schnell wieder vergessen hatte.
     
    * *  *
     
    Meine Mutter hatte am Vortag gegen Abend die Polizei verständigt. Als ich nicht zur verabredeten Zeit zu Hause erschienen war, hatte sie erst im Hort, dann in der Schule angerufen. Niemand hatte eine Erklärung für mein Verschwinden. Am nächsten Tag leitete die Polizei die Fahndung nach mir ein. Aus alten Zeitungen weiß ich, dass hundert Polizeibeamte mit Hunden die Gegend um meine Volksschule und meine Siedlung durchsuchten. Es gab keinerlei Anhaltspunkte, die den Radius der Fahndung hätten begrenzen können. Hinterhöfe, Nebenstraßen und Grünanlagen wurden durchkämmt, ebenso das Ufer der Donau. Hubschrauber waren im Einsatz, an allen Schulen wurden Plakate aufgehängt. Im Stundentakt gingen Hinweise von Menschen ein, die mich an verschiedenen Orten gesehen haben wollten. Doch keiner dieser Hinweise führte zu mir.
     
    Ich versuchte, mir in den ersten Tagen meiner Gefangenschaft immer wieder vorzustellen, was meine Mutter gerade machte. Wie sie mich überall suchen würde und wie ihre Hoffnung Tag für Tag schwinden würde. Sie fehlte mir so sehr, dass das Verlustgefühl mich innerlich zu zerfressen drohte. Ich hätte alles dafür gegeben, sie mit ihrer Kraft und Stärke bei mir zu haben. Ich bin im Nachhinein erstaunt, wie viel Gewicht die Medien bei der Interpretation meines Falles später dem Streit mit meiner Mutter beimaßen. Als wäre mein grußloses Gehen ein Fingerzeig gewesen, der etwas aussagte über das Verhältnis zu meiner Mutter. Auch wenn ich mich gerade während der zermürbenden Trennung meiner Eltern abgelehnt und missachtet gefühlt hatte, müsste doch jedem klar sein, dass ein Kind in einer Extremsituation innerlich beinahe automatisch nach seiner Mutter schreit. Ich war schutzlos ohne meine Mutter, ohne meinen Vater, und das Wissen, dass sie ohne Nachricht von mir waren, machte mich todtraurig. Es gab Tage, da belastete mich die bange Sorge um meine Eltern viel mehr als meine eigene Angst. Ich brachte Stunden damit zu, mir zu überlegen, wie ich ihnen zumindest mitteilen könnte, dass ich am Leben war. Damit sie nicht völlig verzweifelten. Und damit sie die Suche nach mir nicht aufgaben.
    In meiner ersten Zeit im Verlies hoffte ich noch jeden Tag, jede Stunde, es würde die Tür aufgehen und jemand würde mich retten. Die Hoffnung, dass man mich nicht einfach so verschwinden lassen könne, trug mich durch die endlosen Stunden im Keller. Aber es verging Tag für Tag, und niemand kam. Außer dem Täter.
    Im Nachhinein scheint es offensichtlich, dass er die Entführung lange geplant hatte: Warum sonst hätte er über Jahre hinweg ein Verlies bauen sollen, das nur von außen geöffnet werden konnte und gerade groß genug war, dass ein Mensch darin überleben konnte. Doch der Täter war, das erlebte ich in den Jahren der Gefangenschaft immer wieder, ein paranoider, ängstlicher Mensch, überzeugt davon, dass die Welt böse und die Menschen hinter ihm her seien. Es kann genauso gut sein, dass er das Verlies als Bunker gebaut hatte, in Vorbereitung auf einen Atomschlag oder den Dritten Weltkrieg; als eigenen Zufluchtsort vor all denen, die ihn vermeintlich verfolgten.
    Welche Variante stimmt, diese Frage kann heute niemand mehr beantworten. Auch die Aussagen seines ehemaligen Arbeitskollegen Ernst Holzapfel lassen beide Deutungen zu. Er gab später zu Protokoll, der Täter habe sich einmal bei ihm erkundigt, wie man einen Raum so schallisolieren könne, dass eine Schlagbohrmaschine nicht im ganzen Haus zu hören sei.
    Mir gegenüber benahm sich der Täter jedenfalls nicht wie ein Mann, der sich

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