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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Atem ging schnell und flach, ich bekam kaum Luft, während die Angst mich immer enger umschloss. Es war ein grauenvolles Gefühl.
    Ich habe als Erwachsene oft darüber nachgedacht, wie ich diesen Moment überstanden habe. Die Situation war so beängstigend, dass ich gleich zu Anfang meiner Gefangenschaft daran hätte zerbrechen können. Doch der menschliche Verstand kann Erstaunliches leisten - indem er sich selbst austrickst und zurückzieht, um vor einer Situation nicht zu kapitulieren, die logisch nicht erfassbar ist.
    Heute weiß ich, dass ich damals innerlich regredierte. Der Verstand des zehnjährigen Mädchens zog sich zurück bis auf die Stufe eines kleinen Kindes von vier oder fünf Jahren. Eines Kindes, das die Welt um sich als gegeben annimmt; in dem nicht das logische Erfassen der Realität, sondern die kleinen Rituale des kindlichen Alltags die Fixpunkte darstellen, die wir brauchen, um Normalität zu verspüren. Um nicht zusammenzubrechen. Meine Situation war so weit außerhalb all dessen, womit man rechnen konnte, dass ich mich unbewusst auf diese Stufe zurückzog: Ich fühlte mich klein, ausgeliefert und frei von Verantwortung. Dieser Mensch, der mich hier unten eingesperrt hatte, war der einzig anwesende Erwachsene und somit jene Autoritätsperson, die wissen würde, was zu tun ist. Ich würde nur befolgen müssen, was er verlangte - dann würde alles gut werden. Dann würde alles so ablaufen, wie es immer ablief: das Abendritual, die Hand der Mutter auf der Bettdecke, der Gute-Nacht-Kuss und eine geliebte Bezugsperson, die noch ein kleines Licht brennen lässt und leise aus dem Raum schleicht.
    Dieser intuitive Rückzug in das Verhalten eines Kleinkindes war die zweite wichtige Veränderung an jenem ersten Tag der Gefangenschaft. Es war der verzweifelte Versuch, in einer ausweglosen Situation eine kleine, vertraute Insel zu schaffen. Als der Täter später noch einmal ins Verlies kam, bat ich ihn, bei mir zu bleiben, mich ordentlich ins Bett zu bringen und mir eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen. Ich wünschte mir von ihm sogar einen Gute-Nacht-Kuss, wie meine Mutter ihn mir gab, bevor sie leise die Tür zu meinem Kinderzimmer hinter sich zuzog. Alles, um die Illusion der Normalität zu wahren. Und er spielte mit. Aus meiner Schultasche, die er irgendwo vor dem Verlies abgestellt hatte, holte er ein Leseheft mit Märchen und kleinen Geschichten, legte mich auf die Matratze, deckte mich mit einer dünnen Decke zu und setzte sich auf den Boden. Dann begann er zu lesen: »Die Prinzessin auf der Erbse, Teil 2«. Anfangs geriet er immer wieder ins Stocken, es wirkte beinahe schüchtern, wie er mit leiser Stimme vom Prinzen und der Prinzessin erzählte. Am Ende gab er mir einen Kuss auf die Stirn. Für einen Moment fühlte ich mich, als läge ich in meinem weichen Bett in meinem sicheren Kinderzimmer. Er ließ sogar das Licht brennen.
    Erst als die Tür sich hinter ihm schloss, platzte die schützende Illusion wie eine Seifenblase.
    Ich schlief nicht in dieser Nacht. In meinem Kleid, das ich nicht hatte ausziehen wollen, rollte ich mich unruhig auf der dünnen Matratze hin und her. Das Kleid, in dem ich so unförmig aussah, war das Letzte, das mir nach diesem Tag von meinem Leben geblieben war.
     

Vergebliche Hoffnung auf Rettung
Die ersten Wochen im Verlies
    »Die österreichischen Behörden beschäftigen sich mit dem Verschwinden eines Mädchens, der zehnjährigen Natascha Kampusch. Am 2. März ist dieses Mädchen zum letzten Mal gesehen worden. Der Schulweg, auf dem sich seine Spur verloren hat, ist ziemlich lang. Angeblich soll ein Mädchen mit einem roten Anorak in einen weißen Kastenwagen gezerrt worden sein.«
    Aktenzeichen XY ungelöst, 27. März 1998
     
    IC HATTE DEN TÄTER schon eine ganze Weile gehört, bevor er am nächsten Tag ins Verlies kam. Ich wusste damals nicht, wie gut der Eingang abgesichert war - aber ich konnte anhand der nur langsam näher kommenden Geräusche feststellen, dass er sehr lange brauchte, um mein Verlies zu öffnen.
    Ich stand in der Ecke, den Blick starr auf die Türe geheftet, als er den fünf Quadratmeter großen Raum betrat. Er kam mir jünger vor als am Tag der Entfuhrung: ein schmächtiger Mann mit weichen, jugendlichen Zügen, die braunen Haare ordentlich gescheitelt wie der Musterschüler eines Vorstadtgymnasiums. Sein Gesicht war sanft und verhieß auf den ersten Blick nichts Böses. Erst wenn man ihn länger beobachtete, bemerkte man den Anflug von

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