3096 Tage
Wahnsinn, der hinter der spießigen, bürgerlichen Fassade lauerte. Tiefe Risse würde sie aber erst später bekommen.
Ich bestürmte ihn sofort mit Fragen:
»Wann lässt du mich frei?«
»Warum hältst du mich fest?«
»Was machst du mit mir?«
Er antwortete einsilbig und registrierte jede meiner Bewegungen so, wie man ein gefangenes Tier im Auge behält: Nie drehte er mir den Rücken zu, ich musste immer etwa einen Meter Abstand zu ihm wahren.
Ich versuchte, ihm zu drohen: »Wenn du mich nicht sofort gehen lässt, kommst du in große Schwierigkeiten! Die Polizei sucht mich längst, sie wird mich finden und bald hier sein! Und dann musst du ins Gefängnis! Das willst du doch nicht, oder?«
»Lass mich gehen, und alles wird wieder gut.«
»Bitte, du lässt mich doch gehen?«
Er versprach mir, mich bald freizulassen. Als seien damit all meine Fragen beantwortet, drehte er sich um, zog den Knauf von der Tür und verriegelte sie von außen.
Ich lauschte verzweifelt, in der Hoffnung, er würde umdrehen, wieder zu mir zurückkommen. Nichts. Ich war von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Kein Laut drang herein, kein bisschen Licht sickerte durch die Ritzen in den Wandpaneelen. Die Luft war muffig und legte sich über mich wie ein feuchter Film, den ich nicht abstreifen konnte. Das einzige Geräusch, das mich begleitete, war das Klappern des Ventilators, der durch ein Rohr an der Decke Luft vom Dachboden über der Garage in mein Gefängnis blies. Das Geräusch war die reine Folter: Tag und Nacht surrte es von nun an durch den winzigen Raum, bis es unwirklich und schrill wurde und ich mir verzweifelt die Hände an die Ohren presste, um es auszusperren. Wenn der Ventilator heiß lief, begann es zu stinken und die Flügel verbogen sich. Das schleifende Geräusch wurde langsamer, ein neues kam dazu. Tock. Tock. Tock. Und dazwischen wieder das Schleifen. Es gab Tage, da füllte dieses quälende Geräusch nicht nur jeden Winkel des Raumes aus, sondern auch jeden Winkel in meinem Kopf.
Der Täter ließ während meiner ersten Tage im Verlies rund um die Uhr das Licht brennen. Ich hatte ihn darum gebeten, weil ich Angst vor der Einsamkeit in der totalen Dunkelheit hatte, in die das Verlies versank, sobald er die Glühbirne herausdrehte. Aber die andauernde gleißende Helligkeit war fast genauso schlimm. Sie tat mir in den Augen weh und versetzte mich in einen künstlichen Wachzustand, aus dem ich nicht mehr herausfand: Selbst wenn ich mir die Decke über den Kopf zog, um den Lichtschein zu dämpfen, war mein Schlaf unruhig und oberflächlich. Die Angst und das grelle Licht ließen niemals mehr als ein leichtes Dämmern zu, aus dem ich immer wieder aufschreckte mit dem Gefühl, es sei helllichter Tag. Doch im künstlichen Licht des hermetisch abgeriegelten Kellers gab es keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.
Heute weiß ich, dass es eine verbreitete Foltermethode war und in manchen Ländern wohl noch ist, Gefangene ständig künstlichem Licht auszusetzen. Pflanzen gehen bei extremer und dauerhafter Lichteinwirkung ein, Tiere sterben. Für Menschen ist es eine perfide Folter, wirksamer als physische Gewalt: Der Biorhythmus und das Schlafmuster werden davon so sehr gestört, dass der Körper von tiefer Erschöpfung wie gelähmt reagiert und das Gehirn schon nach wenigen Tagen nicht mehr richtig funktioniert. Ebenso grausam und effektiv ist die Folter durch permanente Beschallung mit Geräuschen, denen man nicht entkommen kann. Wie dem sirrenden, schleifenden Ventilator.
Ich fühlte mich wie lebendig konserviert in einem unterirdischen Tresor. Mein Gefängnis war nicht ganz rechteckig, etwa 2 Meter 70 lang, 1 Meter 80 breit und knapp 2 Meter 40 hoch. Elfeinhalb Kubikmeter abgestandene Luft. Keine fünf Quadratmeter Bodenfläche, auf denen ich wie ein Tiger im Käfig hin und her ging, immer von einer Wand zur anderen. Sechs kleine Schritte hin, sechs Schritte zurück maß die Länge. Vier Schritte hin und vier zurück maß die Breite. Mit zwanzig Schritten konnte ich das Verlies umrunden.
Das Gehen dämpfte meine Panik nur leicht. Sobald ich stehen blieb, sobald das Geräusch meiner Füße auf dem Boden verstummte, stieg sie wieder in mir hoch. Mir war übel, und ich hatte Angst, verrückt zu werden. Was soll schon passieren? Einundzwanzig, zweiundzwanzig ... sechzig. Sechs vor, vier nach links. Vier nach rechts, sechs zurück.
Das Gefühl der Ausweglosigkeit schnürte mich immer mehr ein. Gleichzeitig wusste
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