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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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gewährt, ist wohl eines der markantesten Erlebnisse bei Entführungen oder Geiselnahmen.
    Es ist so einfach, einen Menschen an sich zu binden, den man hungern lässt.
     
    DIE STIEGE WAR SCHMAL, steil und rutschig. Ich balancierte eine schwere Obstschüssel aus Glas vor mir her, die ich oben abgewaschen hatte und nun hinunter ins Verlies trug. Ich konnte meine Füße nicht sehen und tastete mich langsam vorwärts. Da geschah es: Ich rutschte aus und fiel hin. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Stufen und hörte noch, wie die Schüssel mit einem lauten Klirren zersprang. Dann war ich für einen Augenblick weg. Als ich wieder zu mir kam und den Kopf hob, wurde mir übel. Von meinem kahlen Schädel tropfte Blut auf die Stufen. Wolfgang Priklopil war wie immer direkt hinter mir. Er sprang die Stufen hinunter, hob mich auf und trug mich ins Bad, um das Blut abzuwaschen. Unablässig schimpfte er dabei vor sich hin: Wie man nur so ungeschickt sein konnte! Was ich ihm wieder für Probleme bereiten würde! Dass ich selbst zum Gehen zu blöd sei. Dann legte er mir ungeschickt einen Verband an, um die Blutung zu stillen, und sperrte mich im Verlies ein. »Jetzt muss ich die Stiege neu streichen«, fuhr er mich noch an, bevor er die Tür verriegelte. Tatsächlich kam er am nächsten Morgen mit einem Farbeimer zurück und strich die grauen Betonstufen, auf denen sich hässliche dunkle Flecken abzeichneten.
    Mein Kopf pulsierte. Wenn ich ihn anhob, schoss mir ein greller, stechender Schmerz durch den Körper und mir wurde schwarz vor Augen. Ich verbrachte mehrere Tage im Bett und konnte mich kaum rühren. Ich denke, ich hatte damals eine Gehirnerschütterung. Aber in den langen Nächten, wenn ich vor Schmerzen nicht schlafen konnte, hatte ich Angst, dass ich mir vielleicht den Schädel gebrochen hatte. Dennoch wagte ich es nicht, nach einem Arzt zu fragen. Der Täter hatte von meinen Schmerzen auch früher nie etwas hören wollen und bestrafte mich auch diesmal dafür, dass ich mich verletzt hatte. In den nächsten Wochen schlug er bevorzugt mit der Faust auf diese Stelle, wenn er mich misshandelte.
    Nach diesem Sturz wurde mir klar, dass mich der Täter eher sterben lassen würde, als bei einem Notfall Hilfe zu holen. Ich hatte bisher einfach Glück gehabt: Ich hatte keine Außenkontakte und konnte mich mit Krankheiten kaum anstecken - Priklopil war so hysterisch darauf bedacht, keine Keime anzufangen, dass ich auch im Kontakt mit ihm vor Krankheiten sicher war. Mehr als leichtere Verkühlungen mit etwas Fieber habe ich in all den Jahren der Gefangenschaft nicht erlebt. Aber bei den schweren Arbeiten im Haus hätte jederzeit ein Unfall geschehen können, und manchmal kam es mir wie ein Wunder vor, dass ich von seinen Misshandlungen immer nur große Blutergüsse, Prellungen und Schürfwunden davontrug und er mir nie einen Knochen brach. Aber nun hatte ich die Gewissheit, dass jede schwere Krankheit, jeder Unfall, der ärzdiche Hilfe erforderte, meinen sicheren Tod bedeuten würde.
    Hinzu kam, dass sich unser »Zusammenleben« nicht ganz nach seinen Vorstellungen gestaltete. Der Sturz über die Treppe und sein Verhalten danach waren symptomatisch für eine Phase des zähen Ringens, die sich über die nächsten zwei Jahre meiner Gefangenschaft hinziehen sollte. Eine Phase, in der ich zwischen Depressionen und Selbstmordgedanken auf der einen Seite und der Überzeugung schwankte, dass ich leben wollte und alles bald ein gutes Ende nehmen würde. Und eine Phase, in der er damit rang, seine schweren Übergriffe im Alltag mit dem Traum von einem »normalen« Zusammenleben in Gleichklang zu bringen. Was ihm immer schlechter gelang und ihn quälte.
    Als ich 16 wurde, neigte sich der Umbau des Hauses, dem er seine ganze Energie und meine Arbeitskraft gewidmet hatte, dem Ende zu. Die Aufgabe, die seinem Tagesablauf über Monate und Jahre Struktur verliehen hatte, drohte ersatzlos wegzufallen. Aus dem Kind, das er gekidnappt hatte, war eine junge Frau geworden und damit der Inbegriff dessen, was er zutiefst hasste. Ich wollte ihm nicht die willenlose Marionette sein, die er sich vielleicht erträumt hatte, um sich nicht erniedrigt zu fühlen. Ich war aufmüpfig, wurde gleichzeitig immer depressiver und versuchte, mich zu entziehen, wann immer es ging. Manchmal musste er mich nun zwingen, überhaupt aus dem Verlies zu kommen. Ich heulte stundenlang und hatte nicht mehr die Kraft aufzustehen. Er hasste Widerstand und Tränen, und meine

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