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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Bergstation einfuhr, verfiel ich in Panik. Ich wusste nicht, wie man absprang, und verhakte mich vor lauter Aufregung mit meinen Stöcken. Priklopil schimpfte, packte mich im letzten Augenblick am Arm und zog mich aus dem Lift.
    Nach einigen Abfahrten kehrte langsam ein Rest von Selbstsicherheit zurück. Ich konnte mich nun so lange aufrecht halten, dass ich die kurzen Fahrten genießen konnte, bevor ich wieder in den Schnee fiel. Ich fühlte, wie meine Lebensgeister zurückkehrten und ich das erste Mal seit langem so etwas wie Glück verspürte. Sooft es ging, blieb ich stehen, um mir das Panorama anzusehen. Wolfgang Priklopil, der stolz auf seine Ortskenntnis war, erklärte mir die Berge rundum. Vom Hochkar-Gipfel konnte man auf den massiven Ötscher hinübersehen, dahinter verschwand Bergkette um Bergkette im Dunst. »Das ist schon die Steiermark«, dozierte er. »Und dort, auf der anderen Seite, kann man fast bis nach Tschechien sehen.« Der Schnee glitzerte in der Sonne, der Himmel war tiefblau. Ich atmete tief ein und wollte am liebsten die Zeit anhalten. Doch der Täter drängte zur Eile: »Dieser Tag hat mich ein Heidengeld gekostet, jetzt müssen wir das auch ausnützen!«
     
    * *  *
     
    »Ich muss aufs Klo!« Priklopil blickte mich verärgert an. »Ich muss wirklich!« Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit mir zur nächsten Hütte zu fahren. Er entschied sich für die Talstation, weil dort die Toiletten in einem separaten Anbau untergebracht waren und wir so nicht durch eine Gaststube mussten. Wir schnallten die Skier ab, der Täter führte mich bis vor die Toiletten und zischte mir zu, ich solle mich beeilen. Er würde warten und dabei ganz genau auf die Uhr sehen. Im ersten Moment wunderte ich mich, dass er mir nicht folgte. Er hätte ja immer noch sagen können, er habe sich in der Tür geirrt. Aber er blieb draußen.
    Die Toilette war leer, als ich sie betrat. Doch als ich in der Kabine war, hörte ich, wie sich eine Tür öffnete. Ich erschrak - ich war sicher, dass ich zu lange gebraucht hatte und der Täter in die Damentoilette gekommen war, um mich zu holen. Aber als ich hastig zurück in den kleinen Vorraum trat, stand dort eine blonde Frau vor dem Spiegel. Ich war zum ersten Mal seit Beginn meiner Gefangenschaft mit einem anderen Menschen allein.
    Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe. Ich weiß nur noch, dass ich all meinen Mut zusammennahm und sie ansprach. Aber alles, was aus meinem Mund herauskam, war ein leises Piepsen.
    Die blonde Frau lächelte mich freundlich an, drehte sich um - und ging. Sie hatte mich nicht verstanden. Zum ersten Mal hatte ich jemanden angesprochen, und es war wie in meinen schlimmsten Alpträumen: Man hörte mich nicht. Ich war unsichtbar. Ich durfte nicht auf Hilfe hoffen.
    Erst nach meiner Befreiung habe ich erfahren, dass die Frau eine Touristin aus Holland war und schlicht nicht verstanden hatte, was ich von ihr wollte. Damals aber traf mich ihre Reaktion wie ein Schlag.
    Der Rest des Skiausflugs verschwimmt in meiner Erinnerung. Ich hatte wieder eine Chance verpasst. Als ich am Abend in mein Verlies gesperrt wurde, war ich verzweifelt wie lange nicht mehr.
     
    * *  *
     
    Wenig später nahte der entscheidende Tag: mein 18. Geburtstag. Es war das Datum, auf das ich schon seit zehn Jahren hinfieberte, und ich war fest entschlossen, diesen Tag gebührend zu feiern - auch wenn es in Gefangenschaft geschehen musste.
    In den Jahren davor hatte mir der Täter erlaubt, einen Kuchen zu backen. Diesmal aber wollte ich etwas Besonderes. Ich wusste, dass Priklopils Geschäftspartner in einer einsam gelegenen Lagerhalle Feste ausrichtete. Der Täter hatte mir Videos gezeigt, auf denen türkische und serbische Hochzeiten zu sehen waren. Er wollte daraus einen Werbefilm schneiden, um den Veranstaltungsort zu promoten. Ich hatte die Bilder der feiernden Menschen, die in seltsamen Tänzen Hand in Hand im Kreis hüpften, gierig aufgesogen. Bei einem Fest lag ein ganzer Haifisch auf dem Buffet, bei anderen reihte sich Schüssel an Schüssel voll unbekannter Speisen. Am meisten hatten mich aber die Torten fasziniert. Mehrstöckige Kunstwerke mit Blumen aus Marzipan oder ein nachgebildetes Auto aus Biskuit und Creme. So eine Torte wollte ich haben - in Form einer 18, dem Symbol meiner Volljährigkeit.
    Als ich am Morgen des 17. Februar 2006 nach oben ins Haus kam, stand sie tatsächlich auf dem Küchentisch: eine Eins und eine Acht aus luftigem Biskuitteig,

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