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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Saison präsentierten.
    Die Hosen in der Erwachsenenabteilung passten mir nicht. Während mir Priklopil eine nach der anderen in die Umkleide reichte, blickte mich aus dem großen Spiegel eine traurige Gestalt an. Ich war kreidebleich, die blonden Haare standen mir wirr vom Kopf, und ich war so abgemagert, dass selbst XS an mir herumschlotterte. Das ständige An- und Ausziehen war so eine Tortur für mich, dass ich mich weigerte, das Ganze in der Kinderabteilung zu wiederholen. Der Täter musste mir die Skihose vor den Körper halten, um die Größe zu überprüfen. Als er endlich zufrieden war, konnte ich kaum mehr stehen.
    Ich war heilfroh, als ich wieder im Auto saß. Auf der Fahrt zurück nach Strasshof zersprang mir fast der Kopf. Ich war nach fast acht Jahren Isolation nicht mehr fähig, so viele Eindrücke zu verarbeiten.
    Auch die weiteren Vorbereitungen für den Skiausflug dämpften meine Freude. Über allem hing eine Atmosphäre sirrender Anspannung. Der Täter war unruhig und gereizt, machte mir Vorhaltungen über die Kosten, die ich schon wieder verursachte. Mit der Landkarte ließ er mich die genaue Kilometerzahl bis zum Skigebiet ermitteln und ausrechnen, wie viel Benzin für die Strecke notwendig war. Dazu noch die Liftkarte, Leihgebühren, vielleicht etwas zu essen - in seinem krankhaften Geiz waren das Unsummen, die er verschleuderte. Und wofür das alles? Dafür, dass ich ihm womöglich auf der Nase herumtanzte, sein Vertrauen missbrauchte.
    Als seine Faust neben mir auf die Tischplatte krachte, Heß ich vor Schreck den Stift fallen. »Du nutzt meine Gutmütigkeit nur aus! Du bist ein Nichts ohne mich, ein Nichts!«
    Nichts daraufgeben, wenn er sagt, du kannst ohne ihn nicht leben. Ich hob den Kopf und sah ihn an. Und war überrascht, auf seinem verzerrten Gesicht einen Anflug von Angst zu sehen. Dieser Skiausflug war ein enormes Risiko. Ein Risiko, das er nicht etwa einging, um mir einen langgehegten Wunsch zu erfüllen. Es war eine Inszenierung nur für ihn, die das Ausleben seiner Phantasien ermöglichen sollte. Wie er mit seiner »Partnerin« die Hänge hinabgleitet, wie sie ihn bewundert, weil er so gut Ski läuft. Die perfekte Fassade, ein Selbstbild, genährt von Erniedrigung und Unterdrückung, von der Zerstörung meines Ich.
    Ich verlor jede Lust, in diesem absurden Theaterstück mitzuspielen. Auf dem Weg in die Garage eröffnete ich ihm, dass ich hierbleiben wolle. Ich sah, wie sich seine Augen verdunkelten, dann explodierte er. »Was fällt dir ein!«, brüllte er mich an, dann hob er den Arm. Er hielt die Eisenstange in der Hand, mit der er den Zugang zu meinem Verlies aufhebelte. Ich holte tief Luft, schloss die Augen und versuchte, mich innerlich zurückzuziehen. Die Eisenstange traf mich mit voller Wucht in den Oberschenkel. Die Haut platzte sofort auf.
     
    * *  *
     
    Als wir am nächsten Tag auf die Autobahn fuhren, war er völlig aufgekratzt. Ich hingegen fühlte mich nur noch leer. Um mich zu disziplinieren, hatte er mich wieder hungern lassen und mir den Strom abgedreht. Mein Bein brannte. Aber nun war ich ja wieder gut, alles ist gut, wir fahren in die Berge. In meinem Kopf brüllten Stimmen durcheinander.
    Du musst irgendwie an den Müsliriegel in der Skijacke kommen!
    In seiner Tasche ist auch noch etwas zu essen!
    Dazwischen, ganz leise, sagte eine kleine Stimme: Du musst fliehen. Diesmal musst du es schaffen.
    Wir verließen die Autobahn bei Ybbs. Langsam tauchten vor uns die Berge aus dem Dunst auf. In Göstling hielten wir bei einem Skiverleih. Der Täter hatte vor diesem Schritt besonders große Angst. Immerhin musste er mit mir in ein Geschäft gehen, in dem ein Kontakt mit den Angestellten unvermeidbar war. Sie würden mich fragen, ob der Skischuh passt, und ich würde auf diese Frage antworten müssen.
    Bevor wir ausstiegen, schärfte er mir mit besonderem Nachdruck ein, dass er jeden umbringen würde, den ich um Hilfe bitten würde - und mich dazu.
    Als ich die Autotür öffnete, überfiel mich ein Gefühl der Fremdheit. Die Luft war kalt und würzig und roch nach Schnee. Die Häuser duckten sich am Fluss entlang und wirkten mit ihren Schneehauben auf den Dächern wie Kuchenstücke mit Schlagobers. Links und rechts stiegen Berge in die Höhe. Wäre der Himmel grün gewesen, es hätte mich kaum gewundert, so surreal wirkte die ganze Szenerie auf mich.
    Als Priklopil mich durch die Tür zum Skiverleih schob, schlug mir die warme, feuchte Luft ins Gesicht. Schwitzende

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