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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Farbeimer. »Schwarz«, antwortete ich. »Nein, das ist rot. Es ist rot, weil ich es sage. Sag, dass es rot ist!« Wenn ich mich weigerte, überwältigte ihn eine Wut, die nicht mehr zu bändigen war und länger anhielt als je zuvor. Die Schläge kamen schnell hintereinander, er drosch manchmal so lange auf mich ein, dass es mir vorkam wie Stunden. Mehr als einmal verlor ich fast das Bewusstsein, bevor er mich wieder über die Stufen in den Keller schleifte, mich einsperrte und in Dunkelhaft nahm.
    Ich merkte, wie schwer es mir wieder fiel, einem fatalen Reflex zu widerstehen. Nämlich die Misshandlungen schneller zu verdrängen, als meine Verletzungen heilten. Es wäre so viel einfacher gewesen, dem nachzugeben. Es war wie ein Sog, der mich, wenn er mich einmal erfasste, unablässig in die Tiefe zog, während ich meine eigene Stimme flüstern hörte: »Heile Welt, heile Welt. Ist doch alles gut. Ist doch nichts passiert.«
    Ich musste mich mit aller Macht gegen diesen Sog stemmen und kleine Rettungsinseln auslegen. Meine Zettel, auf denen ich nun wieder jede einzelne Misshandlung festhielt. Wenn ich heute den linierten Schülerblock in der Hand halte, auf dem ich in ordentlicher Schrift und versehen mit akkuraten Zeichnungen meiner Verletzungen all die Brutalitäten eingetragen habe, wird mir schwindlig. Damals notierte ich sie mit großem Abstand zu mir selbst, als handle es sich um eine Schularbeit:
     
    15. April 2006
     
    Einmal schlug er auf meine rechte Hand, so lange und so fest, bis ich innerlich förmlich das Blut rinnen spürte. Mein gesamter Handrücken war blau und rötlich, der Bluterguss ging bis in die Handinnenfläche durch und reichte über die gesamte Handfläche. Ferner schlug er mir ein blaues Auge (auch rechts), das sich zuerst im äußeren Winkel befand und rötlich, bläulich und grün changierte, dann über das obere Lid nach oben wanderte.
    Weitere Misshandlungen der letzten Zeit, sofern ich sie noch in Erinnerung und nicht verdrängt habe: Im Garten, weil ich mich nicht auf die Leiter getraut hatte, attackierte er mich mit einer Gartenschere. Ich hatte ein grünlich verfärhtes Cut oberhalb des rechten Fußknöchels, die Haut ging leicht ab. Dann warf er mir einmal einen schweren Erdkübel gegen mein Becken, so dass ich einen hässlichen rötlich-braunen Fleck davontrug. Einmal weigerte ich mich aus Angst, mit ihm raufzukommen. Da riss er die Steckdosen aus der Wand, bewarf mich mit der Zeitschaltuhr und mit allem, was er an der einen Wand kriegen konnte. Ich trug eine tiefe rote blutige Schramme an der rechten äußeren Kniebeuge und auf der Wade davon. Ferner habe ich einen etwa acht Zentimeter großen schwärzlich violetten Bluterguss am linken Oberarm, ich weiß nicht mehr wovon. Mehrmals trat und prügelte er auf mich ein, auch am Kopf. Er schlug mir zweimal die Lippe blutig, davon einmal so, dass ich eine erbsengroße Schwellung (leicht bläulich) auf der Unterlippe davontrug. Einmal schlug er mir eine faltenartige Geschwulst rechts unter dem Mund. Dann habe ich auch eine Schnittwunde (ich weiß nicht mehr wovon) auf meiner rechten Wange. Einmal warf er mir einen Werkzeugkoffer auf die Füße, die Folge waren pastellgrüne, flächige Blutergüsse. Er schlug mir oft mit dem Gabelschlüssel oder Ähnlichem auf den Handrücken. Ich habe zwei schwärzliche symmetrische Blutergüsse unterhalb beider Schulterblätter und am Rückgrat entlang.
    Heute schlug er mir mit der Faust aufs rechte Auge, dass es blitzte, sowie auf mein rechtes Ohr, da war ein stechender Schmerz, ein Klingen und Knacksen zu spüren. Dann schlug er weiter auf meinen Kopf ein.
     
     
    * *  *
     
    An besseren Tagen malte er sich wieder unsere gemeinsame Zukunft aus. »Wenn ich dir nur vertrauen könnte, dass du nicht fliehst...«, seufzte er eines Abends am Küchentisch. »Ich könnte dich überallhin mitnehmen. Ich würde mit dir an den Neusiedlersee fahren oder an den Wolfgangsee und dir ein Sommerkleid kaufen. Wir könnten schwimmen gehen und im Winter Skilaufen. Aber dazu muss ich mich hundertprozentig auf dich verlassen können - du läufst ja doch weg.« Mir tat dieser Mann, der mich über acht Jahre lang gequält hatte, in diesen Momenten unendlich leid. Ich wollte ihn nicht verletzen und gönnte ihm die rosige Zukunft, die er sich so sehr wünschte: Er wirkte dann so verzweifelt und allein mit sich und seinem Verbrechen, dass ich manchmal fast vergaß, dass ich sein Opfer war - und nicht zuständig für sein

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