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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Glück. Doch ich ließ mich nie ganz in die Illusion fallen, dass alles gut werden würde, wenn ich nur kooperierte. Man kann niemanden zu ewigem Gehorsam und schon gar nicht zu Liebe zwingen.
    Trotzdem schwor ich ihm in solchen Momenten, dass ich immer bei ihm bleiben würde, und tröstete ihn: »Ich laufe nicht weg, das verspreche ich dir. Ich bleibe immer bei dir.« Er glaubte mir natürlich nicht, und mir schnitt es ins Herz, dass ich ihn anlog. Wir wechselten beide zwischen Sein und Schein.
    Ich war körperlich anwesend, in meiner Vorstellung befand ich mich längst auf der Flucht. Aber ich schaffte es noch immer nicht, mir die Landung auf der anderen Seite vorzustellen. Das Bild, plötzlich wieder in der realen Welt draußen aufzutauchen, machte mir unsägliche Angst. Manchmal verstieg ich mich sogar zu dem Gedanken, dass ich mich sofort umbringen würde, sobald ich den Täter verlassen hatte. Ich ertrug den Gedanken nicht, dass meine Freiheit ihn für lange Jahre hinter Gitter bringen würde. Natürlich wollte ich, dass andere vor diesem Mann, der zu allem fähig war, geschützt wurden. Noch sorgte ich für diesen Schutz, indem ich seine gewalttätige Energie auf mich nahm. Später müssten es die Polizei und die Justiz sein, die ihn davon abhielten, weitere Verbrechen zu begehen. Trotzdem verschaffte mir dieser Gedanke keinerlei Befriedigung. Ich konnte kein Gefühl der Rache in mir finden - im Gegenteil: Es schien mir, als würde ich das Verbrechen, das er an mir begangen hatte, nur umdrehen, wenn ich ihn an die Polizei auslieferte. Erst hatte er mich eingesperrt, dann würde ich dafür sorgen, dass er eingesperrt würde. In meiner verschobenen Weltsicht wäre die Tat damit nicht aufgehoben, sondern noch gesteigert. Das Böse in der Welt würde nicht weniger, sondern vervielfältigt.
    All diese Überlegungen setzten in gewisser Weise den logischen Schlusspunkt für den emotionalen Wähnsinn, dem ich jahrelang ausgesetzt war. Durch die zwei Gesichter des Täters, durch den raschen Wechsel von Gewalt und Pseudo-Normalität, durch meine Überlebensstrategie, das auszublenden, was mich umzubringen drohte. Bis schwarz nicht mehr schwarz und weiß nicht mehr weiß ist, sondern alles nur noch ein grauer Nebel, in dem man die Orientierung verliert. Ich hatte all das so sehr verinnerlicht, dass in manchen Momenten der Verrat am Täter schwerer wog als der Verrat an meinem eigenen Leben. Vielleicht sollte ich mich einfach in mein Schicksal fügen, dachte ich nicht nur einmal, wenn ich drohte, in die Tiefe zu sinken, und meine Rettungsinseln aus den Augen verlor.
    An anderen Tagen zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie man mich wohl nach all den Jahren draußen aufnehmen würde. Die Bilder vom Gerichtsverfahren Dutroux waren mir noch immer präsent. So wie die Opfer dieses Falles, das wusste ich, wollte ich nie vorgeführt werden. Ich war seit acht Jahren Opfer, den Rest meines Lebens wollte ich nicht als Opfer verbringen. Ich malte mir ganz genau aus, wie ich mit den Medien umgehen wollte. Am liebsten sollte man mich natürlich in Ruhe lassen. Aber wenn man schon über mich berichten würde, dann niemals nur mit meinem Vornamen. Ich wollte als erwachsene Frau ins Leben treten.
    Und ich wollte mir selbst aussuchen, mit welchen Medien ich sprechen würde.
     
    * *  *
     
    Es war an einem Abend Anfang August, als ich mit dem Täter am Küchentisch saß und zu Abend aß. Seine Mutter hatte am Wochenende einen Wurstsalat in den Kühlschrank gestellt. Er gab mir das Gemüse, Wurst und Käse häufte er auf seinen eigenen Teller. Ich kaute langsam auf einem Stück Paprika herum, in der Hoffnung, noch den letzten Rest Energie aus jeder einzelnen roten Faser herausziehen zu können. Ich hatte zwar ein bisschen zugenommen und wog nun 42 Kilo, aber die Arbeit in der Hollergasse hatte mich geschlaucht, und ich fühlte mich körperlich völlig ausgelaugt. Im Kopf war ich hellwach. Mit dem Ende der Renovierungsarbeiten war ein weiterer Abschnitt meiner Gefangenschaft vorüber. Was sollte als Nächstes kommen? Der ganz normale Wahnsinn des Alltags? Die Sommerfrische am Wolfgangsee, eingeleitet durch schwere Misshandlungen, begleitet von Demütigungen, und als Zuckerl ein Kleid? Nein, ich wollte dieses Leben nicht länger führen.
    Am nächsten Tag arbeiteten wir in der Montagegrube. Aus der Ferne hörte man eine Mutter lautstark nach ihren Kindern rufen. Ab und zu trug ein kurzer Luftstoß eine Ahnung von Sommer und frisch

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