31 - Und Friede auf Erden
einer unserer Träger, um den Dolmetscher zu machen. Fern standen oder saßen viele Leute. Der Geruch des niedergegangenen Brandes wurde von weitem hergeweht. Den Vater sah ich nicht. Ich fragte voller Angst nach ihm. Der Priester antwortete mir in einem so milden Ton, daß ich ihn nie vergessen werde, und der Träger übersetzte es mir:
‚Sei ruhig! Er befindet sich wohl, und es ist ihm bis jetzt nichts geschehen. – – – Was hat euch unser Gott, was hat euch unser Land und was hat euch unser Volk getan? Unser Gott ist auch der eurige! Unser Land hat euch vertraut und euch willkommen geheißen! Und wir selbst, wir haben euch alles gegeben, was wir geben konnten, obgleich wir wußten, daß ihr gegen unsern Himmel wütet! Und was ist euer Dank? Hochmut – Verachtung – Zerstörung! Wir gaben euch Blumen – und ihr gabt uns – was? O ihr Toren! Wißt ihr denn nicht, daß alles, was ihr andern tut, das tut ihr für die Zukunft an euch selbst?! – – – Fürchte dich nicht vor mir! Ich bin Priester, und ein Priester richtet nicht, sondern er verzeiht! Ich habe für deinen Vater gesorgt, daß ihm einstweilen nichts geschehe. Und ich habe dich hierherbringen lassen, damit du Ruhe hast und ich dir bei deinem Erwachen gleich sagen könne, daß du frei bist. Unser Glaube rächt die Sünde nicht an den Kindern bis in das dritte oder vierte Glied. Einen Gott, der den Unschuldigen straft, kann man sich den wohl denken?‘
Hierauf war er still und sprach nicht weiter, doch bewegte er seine Lippen im Gebet. Von dem Träger erfuhr ich, daß die zum Fest anwesenden Häuptlinge zusammengetreten seien, um über meinen Vater zu Gericht zu sitzen. Die Zeit bis zur Entscheidung wurde mir zur fürchterlichen Qual, denn ich fühlte, daß – – –“
„Bitte, Miß Mary“, unterbrach ich sie, „quälen Sie sich nicht auch noch jetzt. Sagen Sie mir das, was Sie mir zu sagen haben, so kurz wie möglich; es genügt!“
Sie gab sich Mühe, sich zu sammeln; dann fuhr sie eng summierend fort:
„Er wurde zum Tod verurteilt. Ich bat, vor die Häuptlinge geführt zu werden. Der Priester wagte es, mich hinzubringen, aber der Vater durfte mich nicht sehen. Sie hörten mich so ruhig, so verständig an. Sie waren gute Menschen. Welche falsche Vorstellung macht sich doch der, der an die eingewachsenen Vorurteile glaubt, von jenen sogenannten ‚wilden Völkern‘! Aber ihre Gesetze forderten den Tod meines Vaters. Welch ein Glück, daß meine Tränen mächtiger als diese Gesetze waren! Man begnadigte ihn zu fünfzigtausend Gulden Schadenersatz für den Tempel, die Gewänder, die Bücher und die Kosten, mich hinunter an die Küste und dann hinüber nach Penang zu bringen. Da aber für einen für reich gehaltenen Mann die Zahlung einer nicht schwer erschwinglichen Summe eine milde Strafe ist, so wurde sie dadurch verschärft, daß ich abreisen mußte, ohne von ihm noch einmal gesehen worden zu sein. Ein Träger begleitete uns als Dragoman. Ich wurde zu Pferd an den nächsten Fluß gebracht, dem wir per Kahn bis an die Küste folgten, um dann für die Fahrt über die Malakkastraße eine größere Praue zu nehmen. Das übrige wissen Sie. Was ich gelitten habe und noch leide, das ist Nebensache. Ohne Raffley und Sie würde der Vater dennoch sterben müssen. Nun aber ist es mir so frohgewiß, daß er mir erhalten bleibt, wenn – – – wenn ihn nicht die Krankheit inzwischen töten wird.“
„Er wird noch leben, wenn wir kommen“, tröstete ich sie. „Es klingt eine deutliche Versicherung in mir, daß es so ist, und diese Stimme kenne ich. Dann wird Tsi sein Mittel wirken lassen, welches er für untrüglich hält. Ich bin vollständig überzeugt, daß Mr. Waller gerettet wird, nicht nur von dem Spruch der malaischen Richter und nicht nur von dieser zerstörenden Krankheit, sondern auch von ihren seelischen Folgen, auf welche seine Tat und seine jetzige Lage zurückzuführen sind. Werfen Sie alle Besorgnis von sich, und versuchen Sie zu schlafen! Das ist Ihnen jetzt nötiger als alles andere!“
Wir sagten uns hierauf „gute Nacht“. Unten winkte mich Raffley zu sich und nahm mich in seine Kajüte. Er hatte uns beobachtet und ganz richtig vermutet, daß sie mitteilsam gegen mich gewesen sei. Ich erzählte ihm, was ich für nötig hielt. Als ich fertig war, sagte er nichts, sondern öffnete ein Schubfach, aus welchem er nach einigem Suchen ein älteres Zeitungsblatt nahm. Sich mir gegenübersetzend, sprach er
Weitere Kostenlose Bücher