31 - Und Friede auf Erden
liegt, und während Sie erzählen, geht hier die Sonne vollends unter, und dort steigt vor meinem geistigen Auge der Mond hinter den Pyramiden auf und zeigt mir fünf Menschen, welche am Wüstenrand rund um den Tisch sitzen, um von dem zu sprechen, welcher Sonne und Mond über Meer und Wüste führt.“
Ich tat es. Sie sah mich nicht an, aber ihre Seele folgte meinen Worten. Ich legte ihr die ganze, weite Route vor, welche ich mit Omar verfolgt hatte und von der ich für die vorliegenden Blätter bisher nur Ägypten und Ceylon herausgegriffen habe, weil die anderen von uns berührten Punkte zu den Personen und Ereignissen dieser Erzählung in keiner Beziehung stehen. Ceylon aber erwähnte ich des Professors Garden und meines Gedichtes wegen nicht. Es war mir, als ob das auch weiter ein Geheimnis bleiben müsse.
Grad als ich fertig war, wurde mit dem Gong das Zeichen zum Abendessen gegeben, welches auf dem freien, luftigen, elektrisch erleuchteten Deck eingenommen werden sollte. Mary saß als einzige Dame natürlich obenan. Tsi zögerte, zu kommen. Ich wollte wieder aufstehen, um ihn zu holen; da fragte mich der Governor, warum ich meinen Platz verlasse. Ich teilte es ihm mit.
„Ist ihm gesagt worden, daß er bei uns speist?“ erkundigte er sich bei Raffley.
„Nein“, antwortete dieser. „Selbstverständliches sagt man nicht.“
„So bin ich schuld, daß er es nicht für selbstverständlich hält. Habe ihn also zu holen, kein anderer!“
Er ging. Raffley warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu; er dachte an seine Wette mit dem ‚dear uncle‘, dessen für andere verborgene Eigenschaften er gar wohl kannte. Der letztere kehrte in etwas feierlicher Haltung mit dem Chinesen zurück, den er sogar bis zu seinem Stuhl führte. Der wahre Adel bricht, wenn es geboten ist, durch jede, auch die rauhste Schale!
Über das Menü sage ich nichts. Was reiche Leute in jenen Gegenden speisen, das ist ja allgemein bekannt. Hoch über allen diesen Delikatessen stand mir der Ton, in welchem das sehr belebte Gespräch die verschiedenen Gänge begleitete. Besonders hatte ich mich, wenn auch nur im stillen, über Tsi zu freuen. Er aß nur wenig, aber mit Geschmack, und er sprach auch nicht viel, aber was er sagte, das hatte Hand und Fuß. Über China wurde geschwiegen; es lag da ein stilles Übereinkommen vor. Darum mochte der Governor erwartet haben, daß Tsi die für unsere Unterhaltung nötigen geistigen Fonds nicht besitzen werde. Aber da kam, so was man im Volkston einen ‚Schlager‘ nennt, bei nächster Gelegenheit noch einer und hierauf wieder einer! Der ‚uncle‘ begann zu staunen, sagte aber nichts. Er hatte gar keine Ahnung gehabt, daß das materielle Wissen dieses jungen Mannes weit, weit über das seinige ging und daß es dann nur des Geistes bedarf, um das zu sein, was selbstbewußte Menschen bei andern als ‚nicht unbedeutend‘ zu bezeichnen pflegen. Und diesen Geist besaß der Chinese; das bemerkte der Governor immer deutlicher. Sein Benehmen gegen den jungen Mann wurde, ohne daß er es beabsichtigte, immer achtungsvoller. Ich sah, wie Mary sich darüber freute. Sie bemühte sich nach kluger Frauenart, Tsi durch Fragen und Gesprächswendungen Gelegenheit zu geben, zu zeigen, daß er den andern geistig gewachsen sei, und er benutzte das in so bescheidener und diskreter Weise, daß ich wünschte, sein Vater könne bei uns sitzen, um sich über diese schönen Resultate seiner Erziehung mit mir zu freuen.
Nach Tisch steckte sich der Governor sofort wieder seine Pfeife an und spazierte auf dem Deck auf und ab. Als ich mich ihm da für einige Minuten zugesellte, fragte er mich:
„Ist dieser Tsi wirklich nichts als Arzt?“
„Ich weiß nichts anderes“, antwortete ich ausweichend.
„Schreckliche Menschen, diese Mongolen! Falsch, hinterlistig, treulos, alles Edlen bar und dabei rückständig im höchsten Grad. Kann also gar nicht glauben, daß er einer ist! Habe ihn daraufhin angesehen. Augen nur ganz wenig schief; Backenknochen nur ganz wenig markiert; dazu dieses reiche Wissen und diese Gewandtheit, gradaus zu sagen, was er sagen will, weil andere es nicht wissen! Bin darum an dieser Rasse ganz irre geworden. Muß mich genau erkundigen, ob er zu ihr gehört. Muß unbedingt einige Tropfen kaukasisches Blut in den Adern haben! Man hört diese Tropfen ja ganz deutlich heraus! Und – ach, wollte unter vier Augen fragen: haben Sie das Gespenst gesehen?“
„Welches Gespenst?“ antwortete ich, obwohl ich
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