31 - Und Friede auf Erden
dann:
„Ich habe hier eine alte Nummer des ‚Handelsblad Padangs‘, in welcher es kurz und bündig, aber auch ungeheuer deutlich heißt: ‚Bis jetzt hat der Krieg der Holländer gegen den Sultan von Atjeh 45.600.000 Gulden gekostet. Dafür sind über 40.000 Eingeborene totgeschossen worden; folglich hat jeder derselben den Holländern 1.140 Gulden gekostet. Dazu kommen die holländischen Soldaten, welche im Kampf fielen, zu Krüppeln wurden oder an den verheerenden Krankheiten des Sumpflandes gestorben sind. Falls wir für die verausgabte Summe Grundstücke zum Preis von 1.140 Gulden pro Hektar angekauft hätten, so würden wir auf dem friedlichsten Wege zu mindestens 40.000 Hektar des besten Landes gekommen sein und wären nicht am Tode von gewiß über 60.000 Menschen schuld.‘“
Raffley legte das Blatt wieder an seine Stelle und fuhr dann fort:
„Das wurde von einem auf Sumatra gedruckten holländischen Blatt vor siebenundzwanzig Jahren geschrieben. In welcher Weise sich die angegeben Summen während dieser Zeit vergrößert haben, wollen wir nicht versuchen auszurechnen. Wißt Ihr nun, was wir Europäer unter ‚zivilisieren‘ verstehen? Es kann mir nicht beikommen, ein einzelnes Land, eine einzelne Nation anzuklagen. Aber ich klage die ganze sich ‚zivilisiert‘ nennende Menschheit an, daß sie trotz aller Religionen und trotz einer achttausendjährigen Weltgeschichte noch heutigen Tages nicht wissen will, daß dieses ‚zivilisieren‘ nichts anderes als ein ‚terrorisieren‘ ist! Was ich, nämlich ich, John Raffley, unter ‚zivilisieren‘ verstehe, das werdet Ihr sehen, wenn wir nach China kommen; mehr darf ich jetzt nicht sagen! Was in der großen Welt da draußen eben auch im großen geschieht, das ist jetzt da drüben im kleinen Atjeh mit Eurem Freund Waller eben auch im kleinen geschehen: Der Unzivilisierte hat sich seiner im höchsten Grade zivilisiert angenommen, und er, der Hochzivilisierte, hat sich dafür im höchsten Grade unzivilisiert bedankt! Und wie er nun verloren wäre, wenn wir ihn nicht retteten, so wird auch für unsere Zivilisation einst die Zeit kommen, in welcher sie um Hilfe aus einer Not schreit, die sie selbst verschuldet hat! Und noch mehr: wie es hier auf meiner guten ‚Yin‘ eine von überall her zusammengetroffene Gesellschaft ist, welche Hilfe bringt, Engländer, ein Deutscher, ein Araber, ein Chinese, genauso werden einst die Wohlmeinenden aller Nationen sich zu vereinigen haben, um die unausbleiblichen Folgen dieses ‚zivilisatorischen‘ Terrorisierens wiedergutzumachen. Denn gutgemacht muß alles Schlimme werden, vollständig gesühnt und bis auf die letzte Ziffer abgebüßt, so will es die göttliche Gerechtigkeit. Dieses scheinbar harte und doch so tröstliche Gesetz gilt für die Gesamtheit des Volkes ebenso wie für den einzelnen Menschen, und wen es nicht schon in der Gegenwart trifft, dem mag für seine Zukunft bange sein! Es gibt für den Schuldigen ein fürchterliches, ein ganz entsetzliches Wort, und das lautet: Sündige ja nicht auf Gottes Langmut hin, denn du rechnest ihm nicht einen einzigen Heller ab! Und nun, mein lieber Charley, wollen wir uns schlafen legen; wir wissen nicht, wie lange wir morgen wachen müssen. Mein alter Tom hält für uns diese Nacht seine Augen offen, und auf ihn können wir uns verlassen.“
Die Nacht verging. Ich schlief sehr gut und lange. Als ich früh auf das Deck kam, erfuhr ich, daß wir die Spitze von Tanjong Perlak schon hinter uns hätten und uns also in den Gewässern von Sumatra befänden. Später sah man backbordseits den Goldberg in blauer Ferne liegen. Segli wurde doubliert, und dann dauerte es gar nicht lange, so machte Raffley uns darauf aufmerksam, daß wir dem Ziel nahe seien.
Uleh-leh ist nicht groß, fast durchweg nur aus Holz gebaut. Der Stil der Häuser ist darauf berechnet, möglichst luftig zu sein und doch genügend Schutz gegen die sehr kräftigen Monsunregen zu gewähren. Ein breiter, aus starken Bohlen zusammengefügter Landungssteg reicht in die See hinein. Große Fahrzeuge können sich ihm nicht nähern. Bei der Ankunft von Passagierdampfern entwickelt sich auf ihm ein außerordentlich buntes, hochinteressantes Treiben, bei welchem man die verschiedensten Typen Sumatras in Bewegung sehen kann. Wir kamen unerwartet; darum war er ziemlich menschenleer.
Es war beschlossen worden, uns im Hafen gar nicht aufzuhalten, sondern mit der Bahn hinauf nach Kota Radscha zu fahren, um womöglich,
Weitere Kostenlose Bücher