31 - Und Friede auf Erden
geschehen, ganz genauso, wie du es mir sagtest.“
„So soll auch der deinige geschehen. Ich sehe, daß ihr eines Herzens seid, und finde es also begreiflich, daß deine Reise meinen Sejjid Omar ebenso ermüdet hat wie dich selbst. Ihr mögt Euch also miteinander stärken.“
Ich reichte ihm das versprochene zweite Bakschisch in fürsorglicher Verdoppelung hin, und er steckte es zu sich. Omar aber erklärte:
„Hier brauchst du es nicht, sondern du nimmst es mit heim. Du bist mein Gast, denn ich bin Sejjid Omar, und ich liebe dich!“
Dann schritten sie Hand in Hand miteinander von dannen. Als sie sich entfernt hatten, ging ich nach Hause, wo ich mich bis zum Abendessen mit den erwähnten schriftlichen Arbeiten beschäftigte. Es war alles still. Keiner der Freunde ließ sich sehen, obgleich doch anzunehmen war, daß die Übersendung des Buches und des Briefes irgendeine Wirkung hervorgebracht haben müsse. Der Grund lag darin, daß man sich die Mitteilung bis zum Essen vorbehalten wollte, weil wir da alle beisammen waren.
Tsi kam auch. Nur Mary fehlte. Sie zog es auch jetzt noch vor, sich selbst während des Mahles nicht von dem kranken Vater zu entfernen.
Sobald wir uns an den Tisch gesetzt hatten, bemerkte ich, daß die Freunde innerlich beschäftigt waren. Doch schwiegen sie jetzt noch. Sie wollten das, was sie mitzuteilen hatten, nicht gleich bei Reis und Fleisch, sondern erst später bringen. Aber noch waren wir nicht bei dem letzten Gang, den Früchten, angelangt, so konnte der Governor es nicht länger aushalten. Er sagte:
„Ich hatte Besuch, ganz unerwarteten Besuch. John weiß es schon. Dem habe ich es mitgeteilt. Ihr andern würdet es nicht erraten. Darum will ich es lieber gleich sagen. Nämlich der malaische Bote war bei mir, welcher die Betelnuß nach dem Hotel Rosenberg brachte und dann auch mit der Sänfte wiederkam. Er hat mir einen Brief von meinem guten Freund, dem Heidenpriester, gebracht und ist dann gleich wieder fortgegangen, ohne zu fragen, ob er Antwort mitnehmen soll.“
„Was hat der Freund geschrieben?“ erkundigte ich mich, weil keiner der andern etwas sagte.
„Das weiß ich noch nicht ganz genau, doch hoffe ich, es hier zu erfahren. Der Brief ist malaisch geschrieben, und in Beziehung auf diese Sprache bin ich Analphabet. Darum ging ich mit ihm zu John. Der hat herausgebracht, daß von unserm Christus die Rede ist, von Gold, von Weihrauch, von armen Hirten und von dem Frieden, den die Engel auf den Fluren von Bethlehem verkündet haben. Aber wirklich fließend konnte er die Zeilen auch nicht lesen. Es sind Worte und Wendungen darin, welche er nicht kennt. Sonderbarerweise ist der Brief nicht Prosa, sondern ein Gedicht. Denkt Euch, ein malaiischer Heidenpriester, welcher dichtet! Ist das nicht fast unbegreiflich?“
„Warum unbegreiflich? Gibt es nicht auch christliche Priester, welche Dichter sind? Der Priesterstand meint doch wohl, Gott am allernächsten zu stehen, und die Poesie ist göttlicher Natur. Die Kunst, die wahre, christliche Kunst, ist die edle Schwester des Glaubens. Aus welchem Grund sollte diese Schwester grad die bevorzugten Jünger ihres Bruders mit Verachtung von sich stoßen?“
„So habe ich es nicht gemeint, sondern anders!“ entschuldigte sich der Uncle.
„Anders?“ lächelte der Chinese. „So habt Ihr also nicht den Priester, sondern den Heiden betont wissen wollen? Klingt das vielleicht freundlicher, besser? Was würde wohl die ‚Shen‘ hierzu sagen, Mylord? Also, daß ein Heide Dichter sein könne, ist Euch unbegreiflich? Denkt doch einmal an Eure alten Griechen, die für Euch noch jetzt die allerhöchsten Ideale sind und Euer ganzes, geistiges Leben in einer Weise beeinflussen, welche man vom christlichen Standpunkt aus doch eigentlich zu beklagen hätte? Wem anders als diesen alten, heidnischen Griechen hat Euer England es zu verdanken, daß es den größten aller späteren Dramatiker besitzt? Wird nicht die Sprache, die Philosophie, die Geschichte dieser Heiden in allen Euren höheren Schulen derart begünstigt, daß Eure Gymnasiasten und Studenten fast alle der Meinung sind, wer nicht Griechisch und Latein getrieben habe, dürfe sich nicht zu den gebildeten Menschen rechnen? Selbst Eure Prediger und Priester müssen diese heidnischen Sprachen verstehen und diese heidnischen Dichter studiert haben, sonst würden sie keine christliche Kanzel und keinen christlichen Altar betreten dürfen! Wie sonderbar klingt das zu dem, was Ihr ‚fast
Weitere Kostenlose Bücher