31 - Und Friede auf Erden
Reime für heut zu retten.“
„Gut, schön, vortrefflich!“ lachte da Tsi. „Versuchen wir es! Es ist eine Versündigung an dem Dichter, seine Gedanken in nüchterne, empfindungslose Worte zu kleiden. Suchen wir also nach einem poetischen Gewand. Finden wir es nicht, so haben wir wenigstens unsere Schuldigkeit getan. Ich werde die Übersetzung wörtlich zu Papier bringen. Sehen Sie dann, was Sie daraus fertigbringen; aber bitte, deutsch, weil dies Ihre Muttersprache ist, die wir ja alle kennen. In der Muttersprache ist eine solche Aufgabe nicht halb so schwer wie in jeder anderen.“
„Das ist richtig!“ stimmte Raffley bei. „Und während hier die Übersetzung gemacht wird, laufe ich hinüber zum Mijnheer. Da liegt ein Buch, welches ‚Nieuw Hollandsch-Maleisch, Maleisch-Holandsch Woordenboek‘ heißt. Das hole ich herüber, um Charley damit zu unterstützen.“
Er stand auf, um wirklich zu gehen.
„Bitte, sitzenbleiben!“ bat ich ihn. „Dieses Woordenboek würde mich nur irremachen. Ich verzichte also darauf.“
Das Gedicht war kurz und Tsi also rasch fertig. Ich nahm beides, Original und Übersetzung, und ging damit nach meinem Zimmer, um ungestört zu sein. Tsi durfte meine eigentliche, deutsche Handschrift nicht sehen, weil sonst der Dichter von ‚Tragt Euer Evangelium hinaus‘ sofort verraten gewesen wäre. Ich wählte also eine recht schlechte abgenutzte Feder und schrieb einen sehr hohen, von links nach rechts hinüberliegenden, lateinischen Duktus. Es gelang. Als ich wieder hinüberkam, gab ich es Tsi. Er las, wieder erst nur für sich allein. Dann warf er einen langen, nachdenklichen Blick zu mir herüber, sagte aber nichts und las die zwölf Zeilen hierauf zum zweiten Male durch.
„Nun?“ fragte der Governor. „Wohl schlimme Reimerei, die wir nicht gebrauchen können? Bitte, doch vorzulesen!“
„Sonderbar, höchst sonderbar!“ sagte Tsi vor sich hin. „Es liegt hier etwas vor, was ich nicht begreifen kann; ich hoffe aber, es doch noch zu erfassen.“
Und nun las er vor, langsam, laut und mit der erforderlichen Betonung:
„O komm, sei wieder Gast auf Erden,
Du gottgesandter Menschheits-Christ.
Dein Stern soll nie zur Flamme werden,
Die das verzehrt, was heilig ist.
Wohl mögen Könige und Weise
Sich dir mit Gold und Weihrauch nahn,
Du aber hast dich nur dem Kreise
Der armen Hirten kundgetan.
Der Habsucht sei das Gold beschieden,
Der Weihrauch dem, der Weihrauch liebt,
Uns Armen aber gib den Frieden,
Den uns kein Fürst, kein Weiser gibt!“
Als er geendet hatte, schob er das Blatt vor sich hin auf den Tisch, faltete die Hände, legte sie darauf, schaute über uns hinweg, wie in weite Fernen, und sprach:
„Das, das ist es, was der Dichter, der zugleich auch Priester ist, hat sagen wollen! Gibt es einen unter uns, der irgend etwas hinzuzufügen oder irgend etwas hinwegzustreichen hat? Wenn uns kein irdischer Herrscher und keine irdische Weisheit den Frieden gewährt, den der Himmel uns verkündete, so kann nur der allein uns helfen, der diese Engel sandte! Sie waren die ersten, die allerersten christlichen Missionare. Dank sei der ewigen Liebe, die ihr Evangelium durch diese, durch solche Boten sandte!“
Hierauf erhob er sich von seinem Platz und trat unter die offene Fenstertür, als ob er das Bedürfnis habe, freie, reine Lüfte zu atmen. Er hatte fast wie betend gesprochen. Wir saßen unter dem Eindruck seiner Worte still, ganz still. Und als der Governor nach einiger Zeit das Schweigen brach, sprach er nicht laut, sondern flüsternd:
„Mir ist, als ob mein Freund, der Priester, hinter mir stehe, zwar unsichtbar, aber doch deutlich zu fühlen. Es weht und wallt mir vom Kopf aus über den Nacken und über die Schultern herab, als ob sein langes, silbernes Haar das meinige geworden sei, so lind, so weich, wie das süß-eindringliche Flehen eines Kindes, in dessen Augen die Tränen stehen, während es, Wange an Wange, den Vater umarmt, um seine krause Stirn unter zornstillenden Locken zu verbergen. Wie das nur kommt? Ich war noch nie im Leben so friedlich, so fügsam und so demütig gestimmt wie jetzt in diesem Augenblick!“
Raffley antwortete, ganz unwillkürlich, ebenso leise:
„Welcher gute Mensch könnte jetzt wohl anders als nur friedlich fühlen! Auch ich habe eine ganz eigene Empfindung. Wenn ich jetzt nach meinem Kopf griffe, würde es mich gar nicht wundern, die Hand Eures Freundes zu fassen, die er mir aufgelegt hat, wie er es bei Miß Mary tat. Uncle,
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